Anna Chii
Bankert-Gesänge
Gossics - Gedichte aus Traufe und Rinnstein
Inhalt
Schicksal
Auf Täter
reimt sich Väter,
auf Gott
reimt sich Schafott,
auf Humanist
Faschist.
Was soll ich tun, das Schicksal hat
entschieden.
Ach - lieber Vater, ruhe sanft in
Frieden.
Versehentlich
Auf dem Tisch war nichts zu Essen
und die Schuhe nicht geputzt,
alles Süße aufgefressen
und die Blumen arg gestutzt.
Nicht zu sehen war die Schwester ,
suchte Ostereiernester.
Als der Bruder liebevoll
fragte sie; "WAS DAS DENN
SOLL?"
sang sie nur ganz leise
eine kleine alte Weise;
"Wie im Himmel, so
hiernieden,
große Brüder sollst Du
lieben!
Betten sanft auf Eiderdaunen,
und ertragen ihre Launen."
Aber dann beim Abendbrot
schlug sie aus Versehen ihn tot.
Schwanz
Katzen auf Kaminen liegen.
Alle Vögel können fliegen.
Ratten lieben ihren Mief,
Bienen ihre Tänze,
Pinguine tauchen tief,
Männer haben Schwänze.
Kriecht aus Deinem Abflußrohr
Haut und Haar und Schwanz hervor,
glaub nicht, es ist ne Ratte,
es ist vielleicht Dein Gatte.
Denk daran,
Schwanz ist Schwanz, und Mann ist
Mann.
Unschuld
Beschneiden -
muß
man den jungen Trieb!
Kindergärtnerinnen
- auf den weißen Linnen -
haben kleine Kinder lieb.
Lieben sie
nur all zu sehr,
wie
die Mutter,
nur
viel mehr.
Kleine Hände, kleine
Füß,
seht nur wie sie schlafen
süß.
Nur die kleine Anna
hört nicht auf die Hanna.
"Fräulein geh jetzt
nicht zu weit,
suche nicht schon wieder
Streit!"
Aber Anna hört dies nicht
weil sie mit dem Spiegel spricht;
"Was hast Du für
große Zähne?
Wie riechst Du aus dem Maul?
-
Anna, Du bist faul."
Und sie schaut zur Hanna auf;
"Ich bin das Tier,
das
neidest Du mir.
Ich gehe
die
Geißlein
zu
freien."
Verwandschaft
Früh am Morgen aufgewacht.
Dumme kleine Pute.
Wirst bald wieder ausgelacht,
liegst in deinem Blute.
Nur weil dich der Bruder neckt.
Dumme kleine Pute.
Aus dem Traume hochgeschreckt,
fürchtest seine Rute.
Hast dich wieder umgebracht.
Dumme kleine Pute.
Was hast Du dir nur gedacht?
Wie ist uns
- dann wohl zu Mute?
Liebesdienst
Ach ich wollt nur liebreich sein
auf der Wiese junger Rast,
wo Du lagst mit breitem Bein.
Schnitt nur ab den morschen Ast.
Liebste
Den Kanzler habe ich umgebracht.
Liebst Du mich noch,
ich
tat es letzte Nacht
Es war eine wohlüberlegte Tat.
Er winselte um Gnade und bat,
"Seine Mutter hätte
für ihn geputzt."
Es hat ihm nichts genutzt.
Die Zigarre im Mund
war der eigentliche Grund,
nicht die Politik ohne Barmen,
nicht das Elend der Armen,
nicht die Verzögerung des
Atomaustieg,
nicht das Töten im Krieg.
Die Zigarre, der Stumpen,
das
Zeichen der Macht
es hat ihm nun kein Glück
gebracht.
Er kam mir einfach zu nah,
und Du, warst nicht da.
Ich schoß durch die Augen,
der
Kopf, der zersprang,
es gab einen widerlich
höhnenden Klang.
Liebst Du noch meine Sommersprossen?
Ich habe den Kanzler erschossen.
Schuldspruch
Sauber soll Sabinchen sein,
lieblich und auch rein.
'Kleine schlimme Finger,
irgendwo und irgendwann,
kleine schlimme Dinger
holt der schwarze Mann,'
sprach der Mutter lieb Gesicht,
doch Sabinchen hörte nicht.
So nahm sie der Vater ran,
irgendwo und irgendwann.
Liebe T.
Tschuldigung, aber
Deine Nachricht habe ich
nicht bekommen.
Ich aß gerade Apfelmus,
als der Computer ausfiel,
da kam die Liebe zu Fuß
und ich trank viel zu viel.
als die Grinsekatze die e-mail
fraß,
und keine die Nachricht las.
Liebeslust
Nächtens denk ich nur an Dich,
ach Du Liebster, schütze mich.
Nimm mich in der Nacht,
nimm mich nicht zu sacht.
Schneid mir durch die Kehle,
damit ich nicht fehle,
und Dir mein Gelalle
Deinen Spaß vergalle.
Und lieg ich in meinem Blut
nimm mich ran mit frischem Mut,
reiß mich auf, stoß
tiefer rein,
bin doch Dein gut Mägdelein.
Nachts
Auf den Tasten liegt ein Molch
und der Bildschirm flackert leis,
Lara säubert ihren Dolch.
Ach wie gut, daß niemand
weiß,
was des Nächtens hier passiert,
denn es wachen auf die Dinge,
und ein Junge ward kastriert.
Lara Croft zog ihre Klinge.
Schlaf mein Junge, schlaf ein,
Dich will sie ganz allein.
das wolltest Du doch auch.
Blutige Laken sind der Brauch.
Reime
Ein Mann stand ganz alleine
im dunklen Wald herum.
Dideldei - Dideldumm
Da lief vorbei ein Mädchen
mit langem schwarzen Haar.
Dideldei - Dideldaar
Der Mann, der wollt sie zwingen,
und sie lief nicht davon.
Dideldei - Dideldingen
Er zog sie mit ins Dunkel,
daß Mädchen lacht laut
auf.
Dideldei - Dideldauf
Da kamen viele Mädchen
und schlugen ihn zu Brei
und setzten ihm ein Grabstein,
auf dem geschrieben ward;
Dideldei Dideldard
Ein Mann stand ganz alleine
im dunklen Wald herum.
Dideldei - Dideldumm
...
Humanität
Die Soldaten sind zahm,
sie töten human.
Keine Angst, mein Kind,
da stirbst Du ganz lind.
Zerstückelt, zerrissen, zerschlagen - ganz fein,
für das Menschenrecht ist uns kein Opfer zu
klein.
Paß auf, daß Ihr sie nicht stört
Du weißt doch, was sich gehört.
Und sollte Blut fließen,
laß Dich nicht verdrießen.
Keine Angst, mein Kind
sie töten geschwind.
Sie helfen den Waisen,
den Witwen und Greisen.
Paß auf, daß Ihr sie nicht stört
Du weißt doch, was sich gehört.
Sie spielen mit Dir kriegen,
und siehst Du einen liegen, -
Keine Angst, mein Kind
er ist schon halb blind -
so schächte ihn sachlich,
ganz sauber und fachlich.
Kein Krüppel, der jetzt noch stört.
Du weißt doch, was sich gehört.
Revolution
In den Wohnungsküchen greifen
die Tomaten
zu den Waffen
spießen auf die Yuppielaffen,
und der Brocoli frißt leise
junge Programierer-Greise,
spuckt nur aus die nackten Knochen,
taugen nicht zum Suppe kochen.
Unter alten Küchenschränken
rottet sich der Mais zusammen
und es wispert unter Bänken,
wo Rosinen uns verdammen.
Aus dem Kochtopf springt der Lauch,
die Kartoffeln streiken auch.
Auf dem Tisch tanzt eine Maus.
Eintopf
Deutsche kaufen deutsches Bier.
Deutsche bleiben lieber hier.
Deutsche wissen ganz genau,
das ist eine deutsche Frau.
Auch die Frau am Imbißstand
paßt sich an, in diesem Land
Und ein kahlgeschorner Kopf
landet kurzerhand im Topf,
abgezogen wird die Haut,
Morgen gibt es "deutschen Kraut".
Auf daß es deutschen Gaumen munde,
König ist nun mal der Kunde.
Qualität, die kann mann messen,
deutschen Bürgern, deutsches Essen!
Für Katharina Stock
Dialekt(ik)
Kati saß auf ihrem Sofa,
las die Zeitung aus Hannova,
dachte nach und lachte leise,
eine alte kleine Waise.
Vaterlos und muttertot,
aß sie ihren Kanten Brot.
An der Wand, da hingen Hürsche,
auf dem Tisch lag eine Kürsche,
unterm Bett
das Bombenset,
eig´ntlich war´s hier ganz nett.
Für eine LacanianerIn
Das Gesetz des KATERS
katzen können keine KATER sein,
dafür sind sie viel zu klein.
Der KATER ist der katze Lust,
katzen sind der katzen Frust.
Im Namen des KATERS spricht das Gesetz,
aus der katze quillt nur Geschwätz.
Nur der Name des KATERS ist von Gewicht,
die KATZE existiert nicht.[1]
[1]LA chat n'exist pas.
Überflüssige Reime
Willst Du dich nicht dauernd streiten,
schneid die Gurgel durch bei Zeiten.
Unschuld ist der Täter Los,
was hast Du bloß?
Männer habens schwer.
Das Glas ist halbleer.
Die Möwen tragen Trauer.
Die Milch ist sauer.
Zerlacht,
Zerlacht,
die staatliche Macht
bei Tag und bei Nacht!
Kein NärrIn gibt acht,
gibt lieber sieben,
drum ist eine übrig geblieben.
ENDE
Interview mit Anna Chii
Z.: Wo würdest Du Dich sehen in
den Traditionen und Brüchen der Literatur?
A.Ch.: Wenn Du es an AutorInnen fest
machen willst, vielleicht ein bißchen Christa Reinig, und ansonsten
zwischen Georg Büchner und dem Bänkelgesang. Das heißt, ich
versuche auf Traditionen der politischen Lyrik und des karnevalesken Schreibens
zurückzugreifen, sie zu aktualisieren.
Z.: Unter Karneval verstehe ich
immer eher Willy Milowitsch?
A.Ch.: Wenn ich vom Karnevalesken
spreche meine ich damit das Bachtinsche Karnevaleske. Michail Bachtin hat als
Literaturtheoretiker der russischen revolutionären Avantgarde eine Theorie
einer revolutionären Poetik entwickelt. In den 60er Jahren wurde sie von
Julia Kristeva, einer feministischen Philosophin, in ihren frühen Texten
aufgegriffen und weiterentwickelt.
Das Karnevaleske steht dort für die politische
Bedeutung des Karnevals im Mittelalter. Der Karneval war dort eine reale
Aufhebung der Gesetze, eine Außerkraftsetzung, die grundsätzliche
Infragestellungen ermöglichte. Auch, wenn es danach immer wieder zu einer
Rückbindung an die bestehenden Verhältnisse kam. Mir geht es darum,
dieses revolutionäre Potential zu nutzen. Letzendlich will ich die
Zerstörung der symbolischen Ordnung.
Z.: Also Ketzerei. Aber gehört
zur KetzerIn nicht auch mit dem eigenen Namen für das Geschriebene einzustehen?
A.Ch.: Julia Kristeva beschreibt
sehr deutlich, daß das AutorInnensubjekt nie identisch ist mit dem/der
Schreibenden. Im Schreibprozeß selbst wird dieses AutorInnensubjekt erst
konzipiert. Und die LeserIn verschiebt es ein weiteres mal.
Gerade dieser Prozeß ist ein Teil des
Insfließenbringens der Verhältnisse, nicht als Spiel, als
Realität! Wie und was Anna Chii ist, wird letztendlich von den LeserInnen
ebenso sehr bestimmt, wie von mir. Ich würde mich über das Auftauchen
von Anna Chii in anderen Zusammenhängen freuen.
Jeden Tag eine gute Tat.
Und ein Text entwickelt sowieso ein Eigenleben.
Z.: Dein Schreiben erinnert eher an
eine ReimeschreiberIn als an moderne Dichtung?
A.Ch.: Moderne Dichtung, was verstehst Du darunter? - Zum
Teil tun AutorInnen so, als würden sie selbstkritisch sich dekonstruieren,
und reproduzieren dabei doch häufig nur die zur Zeit herrschende
bürgerliche Ideologie, daß es keine TäterInnen gibt, daß
es nicht mehr möglich ist antagonistisch zu denken. Und damit stellen sie
sich dann genau in den bürgerlichen Subjektstandort, der gerade hipp ist.
Als gäbe es keine KapitalistInnen mehr, und keine
Männer. Das ist die Wahrheit, die die HofkünstlerInnen formulieren.
Es gibt aber TäterInnen hinter der Tat.
Natürlich sind Begriffe Lügen. Lügen ist die
Voraussetzung von Freiheit, Liebe und Lust. Denn sie schaffen eine Lücke
im Wahren und damit Freiheit. Die Reimform macht es mir möglich eben dies
zu formulieren, als Lüge.
Lügen sind für mich die Form anarchistischer
Wahrheit.
Z.: Da lügst Du aber sehr
moralisch.
A.Ch.: Lügen sind die Grundlage
anarchistischer Moral. Wahrheit setzt eine gesetzliche Ordnung vorraus, die
will ich ja aber gerade nicht haben.
Z.: Wen willst Du mit Deiner Lyrik
erreichen?
A.Ch.: Der Bankertgesang ist eine
Art abartiger Bänkelgesang, eine politische Abart. Ich richte mich an all
die, die die Wut spüren, über die Verhältnisse und die nach
Ausdruck suchen.
Aber ansich weiß ich nicht genau wer/welche das lesen
wird.
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Zuletzt aktualisiert 30.10.2014
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Gedichte & sexuelle Gewalt
Gedichte über sexuelle Gewalt, macht das Sinn?
Wie läßt sich vermeiden, daß die Gedichte das Gefühl der Ohnmacht wiederholen?
Ist es möglich sexuelle Gewalt zu zerlachen?
Ist Witz als Waffe im Gedicht dafür geeignet die Gewaltverhältnisse anzugreifen?
Sexuelle Gewalt ist nicht witzig, das stimmt.
Aber die Zumutungen der Täter sind absurd und das gesellschaftliche Schweigen über sexuelle Gewalt im Alltag, die Praxen der Vedrängung im Nahen, sind ein Witz an sich. Sie zu erleben entspricht der Erfahrung eines surrealen Gedichts. Eines Gedichtes über sexuelle Gewalt.
Und wieso sollen Gedichte immer von Liebe handeln, wieso nicht von Haß und Wut?
Gedichte als Gegen-Gewalt.
Anna Irrliche, 2008