Anna Chii
Wider die (Be)Zeichnungsweisen
des Geschlechts
Diesseits von Irigaray, Kristeva
und Butler
'Das Kind war elternlos.
Es gab zwar zwei Erwachsene,
die sich um das Kind kümmerten,
aber ..,
Das Kind lies sie in dem Glauben.
sie seien seine Eltern.
Es hatte keinen Grund sie zu hassen.'
Inhalt
Spieglein, Spieglein, an der Wand
- ..
Spiegel die nicht sprechen
des BürgerInnentums
Interview
A (Der große Andere, das
Gesetz (des Vaters), die Kultur, ..) / S (das durchgestrichene Subjekt)
A: Wie sind Sie zu diesem Text
gekommen?
S: Ich wollte nicht werden
wie Sie.
A: Nie?
S: Doch schon, aber Sie
wissen ja, es hat nicht funktioniert,
obwohl Sie mir gedroht haben.
A: Ich?
S: "Wir werden das aus
Dir machen, was wir sind!"
A: Das war nicht ich, das waren
andere.
Und außerdem, - Ihre Eltern haben sich
doch als drittes
Kind eine Tochter gewünscht.
S: Ja
A: Sehen Sie.
S: Ich weiß Sie haben
immer recht.
Aber - was ist das?
A: Was?
Spieglein, Spieglein, an der Wand
- ..
Spiegel, die nicht sprechen
"Es ist ein Junge!"
Auch in diesem Glauben lies sie das
Kind.
Hinter jeder bösen Stiefmutter
steht ein königlicher Patriarch, der sich mit im Spiegel spiegelt - Sie
sehen ihn im Bild hinten rechts, bei Lacan heißt er der große
Andere, die Kultur, der Vater - und der sie, die andere, seine Schmutzarbeit
erledigen läßt, die Normierung des Kindes. D.h. es geht eben bei der
Rolle der Mutter nicht primär um die Entsorgung der Windeln. So bleibt
Papa der Liebe und das Kind sein Liebling.
Dies ist die
Mittäterinnenschaft der Mutter. Sie vertritt alltäglich die Norm, im
Straßenverkehr - 'Paß auf, wo du hingehst!' - ,und in den Leibpolitiken - 'Du
mußt was vernünftiges essen' - 'Zieh dir was ordentliches an' - ,sie liefert das Kind der
Medizinalisierung aus - 'Es ist doch nur zu deinem Besten' -.
Bis zu dem Tag, da die Tochter
selbst zur Mittäterin wird, bzw. die Mutter ihren Sohn seiner frau
übergeben kann, die nun dafür sorgt, daß er nicht auf dumme
Gedanken kommt.
Er, der Vater, der große
Andere, bleibt im Hintergrund - nur als Drohung gegenüber der Mutter
present.
Diese Drohung setzt aber voraus,
daß er als Autorität erhalten bleibt. Nun sind männer in der
Regel materiell leiblich recht lächerliche große Andere. Die
Funktionsweise dieses Systems setzt ihre Erhöhung durch den Blick der
frau, der Gesellschaft, der Familie voraus. D.h. erst durch die diskursive
Anstrengung von frau und Kind wird aus dem leiblichen Vater der große
Andere. Die männliche Autorität, die sie fürchten, wird also von
frau und Kind durch ihre Spiegelung des Vaters als machtvoll erst produziert.
Das Bild kann sich dabei völlig lösen von dem realen Vater und wird
dadurch nur um so unangreifbarer.
Nicht die Aufwertung des einzelnen
realen mannes ist hier von Bedeutung, sondern die Vergottung eines
männlichen Ideals, die Produktion des Phallus als (Be)Zeichnungsmacht,
für die der Penis immer eine unzureichende Verkörperung darstellt -
weshalb er auch besser bedeckt zu halten ist.
Das Patriarchat muß gespiegelt
werden. Auch in diesem Punkt besteht die Psychoanalytische Theorie aus einer
ideologischen Umkehr der Verhältnisse - ähnlich, wie im Fall
sexueller Gewalt gegen Kinder, wo die väterlichen Phantasien dem Kind untergeschrieben
werden - wird auch hier die Bedürfnissituation entnannt. Es ist nicht das
Kind, das des Spiegelbildes bedarf - sondern die Macht, die eben nicht aus
Gewehrläufen, oder dem Penis, der eben nicht der Phallus ist, kommt.
Macht zeichnet sich durch Gehorsam
ihr gegenüber aus, Gewalt ist nicht notwendig.
Insofern ist die Macht, die in Frage
gestellt wird keine mehr.
Aber nicht der Kampf gegen die Macht
stellt sie in Frage. Der Vater, der bekämpft wird, wird gerade dadurch als
großer Anderer aufgebaut. Die Ermordung des Vaters ist ein Scheingefecht,
das beiden, dem Vater und dem Kind, die Imagination der Größe
ermöglicht und letztendlich sogar der Reproduktion der Ordnungssysteme
dient.
Betrachten wir unter diesem
Gesichtspunkt die Reaktion Lacans auf einen Störer in seiner Vorlesung,
den er erst kühl analysierte und der dann, nach weiterer Eskalation durch
Ordner beiseite geschafft wurde, so stellt sich die Frage, ob er nicht genau
diesen Schein reproduziert, das Nachspielen der Revolution, und sich selbst als
groß. Letztendlich treten beide auf einen toten Gaul ein. Beide
reproduzieren das Dispositiv der Macht.
Insofern funktionieren auch viele
Bauzaunkämpfe oder die Auseinandersetzungen um die G7 oder andere Gipfel
als eine Bestätigung der Macht auf Gegenseitigkeit. Beide Seiten
können sich hier als machtvoll konstruieren. Die Struktur der Macht wird
von beiden Seiten reproduziert.
Richtig wäre die Gewalt zu
ignorieren, dies wäre das Ende jeglicher Macht. Erst wenn auf die Drohung
- 'Wenn du das und das nicht tust, schieße ich', ein lapidares - 'Tja dann
muß du halt schießen folgt', wird Macht aufgehört haben zu existieren.
Macht basiert auf Gehorsam.
Früh übt die Lehrlinge,
wer ein Meister werden/sein will.
Doch was passiert wenn die Kinder
und frauen, die Spiegel aufhören zu sprechen?
Wenn sie IHN, seine
Größe, nicht mehr wiederspiegeln - den Gehorsam verweigern?
Bedacht werden muß, daß
der Phallus nicht nur seine Macht sichert, sondern das seine (Be)Zeichnung auch
die Ordnung der Geschlechter sicherstellt. Die Infragestellung der symbolischen
Ordnung des Phallus stellt auch die Geschlechterdifferenz und das Subjekt
selbst in Frage, und damit auch den Status von frau und Kind als 'ihn liebendes
Objekt'. Die Auflösung des Phallus droht ihnen mit Unsichtbarkeit.
Denn nur durch die
(Be)Zeichnungspraxis des Phallus sind sie existent in dieser Ordnung, die sie
durch seine Spiegelung selbst mit aufgerichtet haben.
Was tun?
Luce Irigaray benennt die Funktion
der 'frau' als Spiegel des mannes[1], und als Warending[2], das nur ihm dient, Judith Butler
schreibt von der "Sklavenmoral"[3], die Lacan vertritt, wenn er dies
Verhältnis als notwendig darstellt. Und doch beschäftigen sich beide
seltsam wenig, mit der Funktion des Kindes, was ihr/ihm geschieht, das sie ja
auch einmal waren. Wie kommt die Heterosexualität ins Kind, wie wird es
zur frau, zum mann, gemacht, wenn ich mit Judith Butler und Monique Wittig
diese Geschlechter als gemacht begreife und nicht nur das soziale Geschlecht.
Und was erzwingt beim Kind die Rückschrift, die Interpretation der eigenen
Geschichte als immer schon einem Geschlecht zugehörig, und sei es auch dem
anderen als dem ihr/ihm zugewiesenen, wie bei Transsexuellen?
Begreifen wir die Vorgänge, die
die Psychoanlytische Theorie beschreibt, als Teil einer gewalttätigen
Praxis, die nicht nur das Geschlecht zeugt, sondern die das Kind auch zum
Warending macht, vom Geschlecht derer von .. .
Und als eine Theorie die uns quer
gelesen Auskunft gibt über den Sinn den diese Praxen für die Macht
haben.
Die heterosexuelle Norm mit den ihr
eingeschriebenen patriarchalen Machtverhältnissen basiert auf der
Mythologie der heterosexuellen Zeugung. Und dies betrifft sowohl den Mythos der
Geburt, wie den des Gens des Vaters und des Phallus, der beide Mythologien
umschließt. Der Mythos der Geburt, d.h. die Geburt als Zeichen der
Schöpfung des Kindes mit Besitzanspruch der Mutter, ist die Vorraussetzung
für die Aneignung dieses Kindes im Namen des Vaters, als Kind seiner frau.
Und die Bezeichnungsmacht des Phallus,
seine Mythologie, beruht letztendlich auf dem Mythos der Vagina als der
anderen, zuerst bezeichneten, dem dunklen Ort. Eben dies ist die Ursache der
Kastrationsangst, die Angst vor der Aufdeckung der Aneignung.
Beide Mythen zusammen dienen der
eindeutigen Bezeichnungsweise und das heißt Tötung des Kindes, als
Kind von ..,und vom Geschlechte .. , und der Aufrichtung der heterosexuellen phallischen
Ordnung. Das was Monique Wittig the Straight Mind nennt, die heterosexuelle
Differenzsetzung, die Abgrenzung/Ausgrenzung der anderen, die frauen/Schwarze/ Lesben/Schwule
trifft, und ihre ideologische Mythologiesierung als Grundlage der Kultur im
Namen des Vaters, des Ödipuskomplexes u.a.[4] hat eine Grundlage im Mythos der
Geburt. Die Wertschätzung der Mutter im Patriarchat belohnt ihre
Mittäterinnenschaft.
Die bekannte Rede von der Geburt ist
die stärkste Negation nicht nur der Fluidität des Leibes und damit
seiner Materialität, sondern auch der Geburt als erfahrbarer und
bewußt gelebter Praxis.
Was wäre eine Frau die
öffentlich, die Geburt als eine Praxis ansähe, das Kind sein
ließe und nicht verklärt diesem 'kleinen Wunder', wie in der
Rama-Reklame ins Gesicht lächelte - eine Frau, die die Spiegelung sein
ließe?
Die Subversion der sexuellen
Bedeutungssetzung setzt voraus die (moderne) Mythologie von Mutter und Vater
ihrer Wirksamkeit zu berauben.
Aber selbst Judith Butler
mißtraut hier ihrer Rede von der Materialität der Diskurse, der
Materialität der Körperlichkeit, - die weder entsteht noch vergeht,
keine Jungfrauenzeugung und kein Jesuskind, kein dunkler Ort als anderer, nur
Fluß im Fluß.
Subjekte werden nicht gezeugt und
nicht geboren, aber sie haben eine Geschichte. Und zur (individuellen?)
Erfahrung jedes Menschen gehört die Geburt, ohne das es als Subjekt
geboren worden wäre.
Der Satzanfang gewinnt erst mit der
Fortsetzung seinen Sinn und ob es der Anfang ist, ist erst am Ende klar, nur
ein Ende kann es nicht geben, wo kein Anfang ist.
Die Rede vom Anfang, ist immer der
Anfang vom Ende. Neugeborene, die "Ich!" schreien sind selten.
Die Fesstellung das die
Dekonstruktion des Phallus die Dekonstruktion des (heterosexuellen) Mythos der
Geburt beinhaltet, heißt nicht die Geburt als leibliche (materielle)
Erfahrung auszustreichen. Im Gegenteil die eindeutige Rede, die phallische
Bezeichnung ist der eigentliche Akt der Negation dieser Geburtserfahrung. Und
gerade diesen Akt der eindeutigen Bedeutungszuweisung zu dekonstruieren ist
hier das Ziel.
Insgesamt begreife ich die
poststrukturalistische Praxis der radikalen Kritik und der Dekonstruktion in der
Linie Irigaray (frühe Texte), Kristeva (frühe Texte), Foucault,
Butler (mit Einschränkungen) als eine Rückwendung der Theorie zur
Leiblichkeit und zum Materiellen. Denn der Leib, die Materie, spricht wie 'die
frau' "niemals gleich. Das, was sie von sich gibt, ist fließend,
fluktuierend. Flunkernd. Man kann ihr nicht zuhören, ohne das dabei die
Sinne, der eigentliche Sinn, der Sinn des Eigentlichen, schwinden. daher die
Widerstände gegen diese Stimme, die das "Subjekt"
entgrenzt."[5]
D.h. Leiblichkeit ist uneindeutig,
flüßig. Dies gilt für das Geschlecht, die Sexualität und
auch für die Geburt als Praxis, d.h. als konkrete Erfahrung/Handlung. Wie
ein Kind die Geburtserfahrung anschaut, welche (Be)Deutung ausschlaggebend wird
oder keine, und wie dies sich zur Erfahrung der frau, des Gebehrens,
verhält ist nicht natürlich festgelegt. Rechte und Pflichten lassen
sich hieraus nicht ableiten. Die Natur kennt keine Gesetze, Gesetze werden von
Menschen gemacht. Und Mutter und Vater sind eine Erfindung[6] im Gegensatz zur Erfahrung des
Gebehrens und der Geburt.
Auch die Produktion eindeutiger
biologischer Geschlechter setzt die Abstraktion von realer Leiblichkeit und
Sinnlichkeit voraus. Nackt sieht jede/r anders aus und keine/r entspricht der
Norm. Nackt würde eine eindeutige Geschlechtszuweisung bald albern, da
Leiblichkeit ein Kontinuum bildet, 'zu kleine' Brüste, 'zu große'
Klitoris (?), 'zu kleiner' Penis (?), kann keine Kinder kriegen, Zwitter, usw..
Schau Dich nur einmal in der Sauna genauer um und stell Dir die 'frau' dort
unrasiert vor, den 'mann' ohne Bodybuilding Styling, usw. .
Die dekonstruktivistische Kritik
gibt durch die Zersetzung essentialistischer Eindeutigkeiten dieser Leiblichkeit ihre Stimme zurück.
Denn die essentialistischen Ansätze z.B. aus dem Ökofeminismus
negieren durch die Festsetzung der Materialität diese. Wenn z.B.
Mutterglück als Notwendigkeit unverfälschten Gebehrens behauptet wird
ist dies eine Ausschlußpraxis gegen die unterschiedlichen Stimmen leiblicher
Erfahrung, eine Abstraktion von Leib und konkreter Erfahrung durch
interessengeleitete verallgemeinernde Festlegung.
Nur ein toter Leib, nur das
virtuelle Abbild ist in dieser Form eindeutig. Hier trifft sich der
Essentialismus mit dem modernen Computerhype. Im Cyberspace kann sie endlich
allen SEINEN Festlegungen bzgl. Körperformen u.a. genüge tun, um IHN
zu spiegeln. Nur die Abstraktion von realer Leiblichkeit kann eindeutige
Geschlechtszuweisungen sicherstellen. Im Mittelalter gab es dafür Kleidernormen,
heute haben wir dafür den Computer und das Bodybuildingstudio,
FriseurInnen, Rasierapparate, chirurgische Praxen, u.a.
Die Virtualisierung und das moderne
Bodystiling geht so Hand in Hand mit der Konstruktion neuer essentialistischer
Geschlechtcharaktere. Virtualität und Essentialismus stehen damit beide im
Widerspruch zur Leiblichkeit und zur dekonstruktivistischen Praxis.
Wieso sollen außerdem die
Mütter an allem Schuld sein?
Und Joschuas Stamm zählte 22
Knechte, 20 Mägde, 40 Kinder, 240 Schafe, .. oder so ähnlich - MEIN
Sohn, MEINE Tochter.
Erst der Code Napoleon lockerte
letztendlich die Verfügungsgewalt der Väter über ihre Kinder,
bis kurz vorher konnten sie sie noch bis zum 30ten Lebensjahr ins Arbeitshaus
überstellen, verkaufen.[7] Auch das Liebesverhältnis zwischen Eltern (Müttern) und
Kindern ist eine relativ moderne Erfindung.[8]
(Be)Zeichnungspraxen dienen erst
einmal der Besitzstandswahrung und der Aufrichtung von Ordnungssystemen. Die
Brandzeichen wurden aber mit den modernen Praxen der Inquisition, des
peinlichen Verhörs verinnerlicht.
D.h. waren es früher vor allem
äußere Gewalten, z.B. auch der strafende Gott, so ist es heute
zunehmend die in das eigene Subjekt durch Erziehung hineinverlagerte strafende
Instanz, die ein sich wehren gegen dieses System der Gewalt ausschließt -
'Das kann ich meinen Eltern nicht antun.' - 'Also so kann ich aber nicht
rausgehen' - .Die
Kinder werden gerade dadurch zu Erwachsenen, daß sie sich diesem
Zwangssystem 'freiwillig' unterordnen. mann/frau hat dann so und so zu
funktionieren will sie sich noch selbst, bzw. dem großen Anderen in ihr,
ins Gesicht blicken können. Insbesondere gilt dies für die
geschlechtliche Praxis.
Eben dies beschreibt und
reproduziert die Psychoanalyse. Denn ein Geschlecht (derer von) gibt es eben
nicht ohne Geschlecht, auch "unser Papa im Himmel", der große Andere, die Kultur
usw., braucht eben sie, d.h. den kleinen anderen in ihr.[9]
Aber dies alles funktioniert nicht
von selbst. Auch heute gilt noch am Anfang steht Gewalt und Belohnung.
Wenn das kleine Mädchen artig
ist kriegt es was geschenkt, vielleicht auch nur ein bischen Zuneigung und
Zärtlichkeit.
Und bist Du nicht willig, so brauch
ich Gewalt.
Das die Auseinandersetzung mit,
sexueller Gewalt gegen Mädchen (Kinder), zu Freuds frühesten
Schriften gehört, und das er letztendlich sich selbst zensierte, und das
Geschehen in die Phantasie der Kinder verlegte, ist eben kein Zufall, es
verweist auf die, auch heute noch notwendige, gewaltsame Aufrichtung dieses
Systems.
Die direkte Gewalt, die Macht des
Tötens, ist der abrufbare Untergrund dieses Systems, sei es als
krimineller oder als verschwiegener und tabuisierter, wie bei der massenhaften
Genitalverstümmelung (einige tausend Fälle jährlich) von
Intersexuellen[10] in der BRD und der sexuellen Gewalt
zwischen Kindern[11]. Dies gilt auch für den
alltäglichen Sexismus, der als un-heimliches Geheimnis allgegenwärtig
ist.[12]
Dieser Schwarze Markt verweist aber
nur auf die alltägliche Gewalt des Marktes, auf dem die Waren ganz offen
zu Markte getragen werden.
Liebe und andere Verbrechen
des BürgerInnentums
Der Kapitalismus ist ein Wirtschaft
des Mangels. Nur Waren, die knapp sind, lassen sich verkaufen. Und nur Kinder
tauschen Glasperlen gegen Diamanten. Der gültige Diskurs der Knappheit,
des Mangels, muß erst als Wahrheit eingeschrieben werden.
Als Kind und auch manchmal heute noch
hatte ich des öfteren das Problem zu unterscheiden
zwischen dem männer- und dem frauen-Clo,
ich konnte die entsprechenden Zeichen nicht lesen.
Ich orientierte mich dann an anderen,
die vor mir gingen oder herauskamen.
Das heißt mir als Kind stand eine unendliche Welt
einem nicht hinreichenden Zeichenvorrat gegenüber.
Materialität ist flüssig
in ihrer Grundlage uneindeutig, es kann kein Zeichensystem geben das diesen
Alltag faßt. D.h. Materialität widerspricht der Logik der Knappheit.
Sie ist (über)flüssig. Das Lächeln der Monalisa. Nur die Praxis
des
Schreibens-Lesens und des Sprechens-Hörens in ihrem überschlagendem Spiel
trifft diese ab und an.
Diese Praxis ist aber etwas anderes
als das System. Systeme beruhen auf der Vereindeutigung, der Festsetzung, der
Tötung der Materialität, nur als Totes ist sie handelbar. Was
wäre der Wert eines Diamanten, der morgen ein Wischlappen vielleicht aber
auch ein Osterei ist. Doch das Tote verwest, so braucht der Handel und der
Phallus, als eindeutiges Zeichen, gerade auch das Uneindeutige als Quelle, die
als das andere die Grundlage bildet, ihn immer wieder neu aufrichtet.
Die Untoten leben von den Lebenden
und ihre größte Angst ist das Verschwinden ihres Spiegelbildes -
Vampyrismus der sich Liebe nennt.
"Aber ich liebe Dich doch"
Stellen Sie sich einen Vater vor,
der gerade seine Tochter geschlagen hat,
oder einen Ehemann dessen frau nicht einsieht,
wieso sie nicht arbeiten soll.
"Was ist die Psychoanalyse
anderes als eine endlose Suche nach Wiedergeburten vermittels der
Liebeserfahrung, die immer wieder gemacht wird, um verschoben, wieder
aufgenommen und, wenn schon nicht abreagiert, so doch gesammelt und eingesenkt
zu werden in das künftige Leben des Analysanden als verheißungsvolle
Voraussetzung für seine ständige Erneuerung, seinen Nicht-Tod?"[13]
Und richtige Liebe heißt
Konfrontation mit dem Phallus und "Ringen um Herrschafft und
Unterwerfung".[14] Denn es geht um die Aufrichtung des
Bezeichnungssystems des Phallus um seine Erneuerung, nichts weniger. Und das
erfordert Eindeutigkeit, Struktur. Androgynie und Lesbische Liebe sind nicht
nur der Bürgerin Kristeva ein Graus, obwohl;
"Immerhin freilich bringt
das androgyne Paradies und auf andere Weise, die lesbische Liebe den
köstlichen Freiraum einer neutralisierten und gedämpften Libido ohne
die schneidende männliche Erotik (Stell Dir einen schneidigen UFZ[15] der Bundeswehr vor.) der
männlichen Sexualität. Leichte Berührungen, Liebkosungen, kaum
voneinander unterschiedene Bilder, die ineinandertauchen, zurücktreten
oder sich lautlos verschleiern in der Sanftheit einer Auflösung,
Verflüssigung, Verschmelzung .. [..]".[16]
aber;
"Wenn dieses Paradieses
nicht als Einschub oder Ruhemoment den Randbereich der phallischen Erotik
bildet und sich zum Absoluten einer Zweierbeziehung auswachsen will, erweist es
sich als das, was es ist, nämlich eine Nicht-Beziehung. Dann eröffnen
sich zwei Wege: Entweder nehmen sie erneut und noch wilder die erotische Manie
mit den Verheerungen des "Herr-Knecht"-Spiels auf. Oder, und
häufig als Folge davon, sprengt der Tod den Frieden [..]. Tod durch
Zermalmung .. "[17] (Wir kennen ja alle die vielen
Totschlagsfälle in lesbischen Beziehungen - ganz im Gegensatz zu
heterosexuellen Realität.)
und;
"Als realisiertes Phantasma
gehört der Androgyne zu jenen Perversen, die der Psychose am nächsten
kommen."[18]
Doch für Sie/Ihn gibt es
Hoffnung;
"Welche Liebe wird ihn
retten, der ohne Liebe ist? Vielleicht die einer Mutter, die es versteht, ihn
anzuhören, aber auch ihn zu Zerschneiden, geschlechtlich zu differenzieren
... So unendlich eine Analyse auch sein mag, sie endet immer - es ist
möglich, sie zu beenden-, wenn sich der Analysand für ein Geschlecht
entscheidet."[19]
Womit ein zentraler Zweck dieser
Theorie und Praxis ausgesprochen wäre.
Die Macht basiert auf der
Differenzierung, dem 'Spalte und herrsche', der Phallus, die geschlechtliche
Differenz stehen als Zeichen für diese Herrschaftsausübung im
heterosexuell organisierten Gesellschaften. D.h. sie sind der Macht nicht
vorgängig, die Macht erzeugt sie vielmehr als ihre eigene Ursache, denn
als solche stellen sie die Wirksamkeit der Bezeichnungsysteme der
Machtausübung sicher. Die Macht beruht dabei wesentlich auf ihrer
Anerkennung.
Es geht hier also um eine
Rückschrift die zur Vorschrift wird, der Satzanfang wird vom Ende aus
bestimmt und als solcher dann zum Beweis der Notwendigkeit der Auslegung.
Das Kind lernt den großen
Anderen, das Gesetz des Vaters, u.a. erst nachträglich als die normativ
richtige Bezeichnung dessen kennen was es erlebt hat. Die Spiegelung dieses
Gesetzes ist die in das Kind gesetzte Erwartung.
Und das Bezeichnungssystem des
Phallus wird nicht ungestraft in Frage gestellt. Die Drohungen bis hin zum Tod
und zur Zermalmung sind leider ernst zu nehmen.
Für die Stabilität des
Systems der Macht sind nicht die sich je eindeutig formierenden anderen
Geschlechter (Lesben/Schwule/Transsexuelle) das Problem, sondern die
Uneindeutigen, die alles verflüssigen. So wird in den progressivsten
Schriften der Sexualwissenschaft, zwar Homosexualität inzwischen
akzeptiert, aber nichtstabile homosexuelle Identitäten als behandlungsbedürftig
deklariert[20] und gleichzeitig wurde Mitte der
80er Jahre unter dem Begriff der 'Geschlechtsidentitätsstörungen' ein
neues psychiatrisches Krankheitsbild etabliert[21], unter das z.B. Kinder fallen, die
zuviel mit dem anderen Geschlecht spielen[22], Jungen die im Sitzen pinkeln[23], u.a..
Die Setzungen der psychoanalytischen
Theorie stehen in einem sich ergänzenden Verweissystem medizinischer
Wahrheitsproduktion, das mit massiver und direkter Gewalt abgesichert wird, bis
hin zur Psychiatrisierung von Kindern, die sich dieser Wahrheit
verschließen, und vorgeburtlichen Eutanasiepraxen gegen und
Verstümmelungen von Menschen (Intersexuelle), die diesem Bild nach den
gültigen biologischen Paradigmen nicht entsprechen - auch dies ein
Phänomen das zunimmt in den letzten Jahrzehnten[24].
Nicht die Waren, die einen eigenen
Handel unterhalten[25], sind das Problem des Kapitalismus
in Zeiten des postfordistischen Selbsmanagement, solange sie sich nur selbst zu
Markte tragen, sondern der mögliche Zusammenbruch des Tauschwertes.
Rückschriften
Den Tauschwert hat das Kind und hat die frau zu sichern.
Es gibt nicht die Kultur, Kultur
zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie aus einem Sammelsurium
verworrener Diskurse, die sich gegenseitig durchdringen besteht. Die
psychoanalytischen TheoretikerInnen verwechseln leider zeitweise ihre eigene
Gymnasialbildung, meist noch klassisch humanistischer Tradition, mit Kultur,
ohne zu berücksichtigen, daß sie so nur eine hegemoniale
Strömung berücksichtigen. Der platonisch-griechischen Philosophie und
Dichtung stehen aber zum Beispiel die mittelalterlichen Rekurse auf
nicht-griechische vorchristliche Theorie und Praxis gegenüber (z.B. bei
Agrippa von Nettesheim). Das Kind steht also nicht dem großen Anderen
gegenüber, sondern es wird vielmehr vor die Aufgabe gestellt, ihn eben aus
diesem Chaos entstehen zu lassen.
Der Preis ist das Angebot der
Akzeptanz ihres/seines Begehrens, d.h. das Kind wird vor die Wahl gestellt
normgerecht zu begehren oder nicht zu sein. Aber auch diese Norm existiert
nicht als eindeutige, so kann sie das Kind nur immer verfehlen.
Es ist wie die Wurst, die dem Hund
an einem Stecken in seinem Halsband befestigt, vor der Nase hängt.
Um die gesamte Zeichensetzung der
Logik der Differenz entsprechen zu machen bedarf es daher des Glaubens an den
eigenen Mangel um den Mangel in der Aufgabenstellung zu retuschieren. Der
Phallus und seine eineindeutigen[26] Bezeichnungspraxen der Differenz
sind unumgänglich mangelhaft bei der Abbildung einer flüssigen
Materialität. Dort wo das Kind dies aber ausdrückt, in Metapher und
Metonymie, übersprudelnder Phantasie, wird es ausgeschlossen aus dem
Diskurs. Die Anerkennung erfordert die Übernahme der Lüge, den
Glauben an Ihn, den großen Anderen, den Glauben an die sinnvolle
Bezeichnungssetzung und die Unfähigkeit des Subjektes sie zu erkennen.
Das bürgerliche Subjekt basiert
auf dem Glauben an seinen Mangel.
Das Kind hat also nur die Wahl, in
einer Rückschrift all das für Wahrheit zu erklären was eben das
bestehende System der (sexuellen) Differenz stützt, und die
Widersprüche dem eigenen Mangel zuzuschreiben, will es Anerkennung finden
und sich selbst als Subjekt oder Objekt konstituieren. Die 'Erfahrung' des
eigenen Mangels wird so zur Grundlage jeder Erfahrung, mit Kant könnte man
sagen a priori, d.h. unabhängig von der empirischen Wirklichkeit, denn
diese Erfahrung des Mangels ist ja eben die Voraussetzung jeder Erfahrung unter
den Prämissen der heterosexuellen Ordnung der Differenz.
Die Behauptung der Mangel wäre
produktiv, d.h. die Erzählung von Herr und Knecht, ist dabei eine
Herrendialektik, die wohl kaum von Mägden und Knechten erzählt
würde. Produktiv ist das, was die Ideologie des Mangels verdeckt, der
(Über)Fluß. Dies gilt auch für die Sexualität.
Die Kontrolle der Phantasmen, die in
der Moderne in den psychiatrischen Diskurs verlagert wurde, und die Kontrolle
des Körpers und seiner Lüste, ist eine Einschränkung.
Zwar heißt Kontrolle auch
Instrumentalisierung und damit auch Anreizung, Ausweitung, Erhöhung der
Quantität aber nur bei gleichzeitiger Reduktion auf Quantifizierbares, oder
im psychiatrischen Diskurs auf Aussagbares, die Freiheit des Privatfernsehens
jetzt auch öffentlich, Enjoy TV.
Die Gewalt erzeugt nicht die Lust,
sie ermöglicht nur das Lusterleben bei gleichzeitiger Grenzziehung. Die
Lust am Dominiertwerden und Dominieren,
an der Auslöschung, ist dabei m.E. gerade nicht die Lust am Selbstverlust,
vielmehr konstituiert sich in dieser Dialektik von Auslöschung und
Kontrolle gerade das Subjekt der Norm. Die Gewalt ist ein Mittel um die eigene
Identität vor dem Selbstverlust zu bewahren, Gewalt ist damit konstitutiv
für die Grenzziehung, d.h. auch für die Begrenzung der Lust.
Dem gleichen Ziel dienlich ist eine
Reduktion der Sexualität auf die Formel des Orgasmustausches
selbstbestimmter bürgerlicher Subjekte. Die Logik des Warentausches
erzeugt eben gerade diese Subjekte. Der Lustgewinn ist hier von der Steuer
absetzbar und offensichtlich bei entsprechendem Einsatz von Kapital zur
Erhöhung des Humankapitals auch akkumulierbar.
Politisch trifft dies auf die
allgemeine Ausweitung der Warentauschlogik in immer weitere Bereiche der
Gesellschaft.
Die Macht erzwingt aus sexueller
Praxis eine sexuelle Ordnung zu machen, d.h. nur durch die Einschränkung
der fließenden Grenzen sexueller Praktiken zu Identitätsrastern
entgehen diese der Repression.[27] Der Schwule, die Lesbe, der
Transsexuelle sind ungefährlich aber nicht die Praktiken als frei
flottierende, als solche werden sie verfolgt, als solche sind sie aber auch nur
produktiv.
Nimm z.B. zwei Lesben, die in einer
HeteroDisco mit deutlicher Konnotation ihrer Beziehung tanzen.
Die Macht ist nicht produktiv, es
sei denn als Zeichensetzung der Differenz, dies ist aber immer eine der
Einschränkung/Ausgrenzung.
Es ist nicht verstehbar, wieso es zu
all der Gewalt kommt, wenn ich dies nicht begreife.
Denn;
- Wieso bedarf es all der sexuellen
Gewalt gegen frauen, wenn diese ihre Rolle doch aufgrund der 'normalen'
Subjektentwicklung selbsttätig annehmen müßten?
- Wieso bedarf es der sexuellen
Gewalt gegen Kinder?
- Wieso bedarf es der Verstümmelung
tausender intersexueller Kinder?
- Wieso bedarf es der Gewalt der
sozialisatorischen Gruppen anderer Kinder gegen einzelne?
- Wieso bedarf es der
pornographischen Bilder?
- Wieso bedarf es der
Psychiatrisierung bei nicht geschlechtsadäquaten Verhalten?
- Wieso bedarf es der
gleichgeschalteten heterosexuellen Propaganda, der sexuellen Identität, in
allen Zeitungen, Kinos u.a., in den Massenmedien und in der Werbung?
- Wieso bedarf es der
psychoanalytischen Praxis?
- Wieso ist Sexualität in
dieser Gesellschaft ohne Gewalt nicht denkbar?
- ..
Sexuelle Gewalt ist alltäglich
weil nur gewalttätig die Übereinstimmung von Bezeichnungssystem und
dem Leib und seinen Lüsten hergestellt werden kann. Es bedarf der Gewalt
um eben die Entgrenzung die Infragestellung des Systems der Differenz und des
Tauschwertes zu bannen. Für das bürgerliche Subjekt ist Liebe
tatsächlich nur als "Ringen um Herrschaft und Unterwerfung" ertragbar. Gewalt und Macht
produzieren nicht sexuelle Praxen und nicht die Lüste, aber sie schaffen
sexuelle Identitäten, als Einschränkungen dieser Praxen.
Das sexuelle Geschlecht muß
nicht mit dem biologischen oder sozialen übereinstimmen aber es muß
in sich selbst konsistent sein, um den Tauschwert realisieren zu können, -
wissen was er/sie will, Geschäft oder Duell, - kein Spiel[28].
Das Kind hat nicht nur diese
Verhältnisse zu reproduzieren, es hat auch diese Reproduktion zu
vergessen, und mit ihr die Alltäglichkeit sexueller
Gewalt/Übergriffe.
"At this point, let us say
that a new personal and subjektive definition for all humankind can only be
found beyond the categories of sex (Woman and man) and that the advent of
individual subjects demands first destroying the categories of sex [..]"[29]
Eine Praxis der Subversion
"Unser Ort ist überall und nirgends",
klang es von hinter dem Spiegel.
Das Bild im Spiegel hat immer noch
eine andere Seite, die nicht sichtbare und doch mitgespiegelte, dahinter. Der
Spiegel ist nicht eben.
Die Nachtmare der bürgerlichen
Vernunft sind nicht das Un-heimliche Freuds sondern die Rückseite des
Spiegels. Das was in der Sprache nicht zu fassen ist und doch in ihr ist, die
Lücke die den Text ausmacht und die eben das Gesetz so sehr in Frage
stellt, daß sie als Lücke negiert werden muß.
Es gibt nicht den Anderen/die Andere
sondern nur die Anderen, jede/r Andere ist bereits in sich selbst
widersprechend - oder kennst Du eine mit sich selbst identische Person?
Kultur ist nur als Sud verschiedener
Kulturen real, Einfalt bedeutet den Tod. Das Unaussprechliche ist Teil der
Sprache, die Lücke gehört zum Text. Es gibt keinen Diskurs ohne
widerständigen Anteil. Es gibt aber auch keine Widerständigkeit ohne Praxis
des Diskurses.
"Unser Ort ist überall und
nirgends."
Das Nachbild eines Augenblicks in
dem der Spiegel zeigte, was er nicht sollte, reicht hin uns auf Tage zu
verunsichern. Die Fratze im Spiegelbild, die schon nicht mehr zu sehen ist,
kann nicht ignoriert werden. Die Leerstelle ist gefährlich, das
Maskenspiel soll sie bannen, die Lücke dahinter ist nicht mehr sichtbar.
Deshalb die Bekleidungsrituale des
Geschlechts, der Penis würde kaum als Phallus taugen, die Körper sind
in ihrer Materialität zu uneindeutig. Das mannequin ist auch nackt
bekleidet, der Rest geschieht im Dunkeln, bzw. die mannequinisierung der
Gesellschaft[30] schreitet voran. In der virtuellen
Hyperealisierung wird versucht die letzten Spuren der Materialität zu
tilgen. Das perfekte Verbrechen - doch die Rückkehr der Spiegelvölker
droht auch hier[31].
Die Nachtmare des
BürgerInnentums sind die Spiegelungen der Lücke in die
Signifikantenkette, die Zeichen die eine Rückseite bekommen und nicht mehr
brav auf dem Papier sitzen bleiben - die Auflösung der Gesetze und der
Kultur, ihre Verflüssigung. Es ist die Angst des Vampirs vor dem Spiegel.
Das Geschlecht als Zeichen als
Lücke aufzurufen und dies zur Wirkung zu bringen ist etwas völlig
anderes als der instrumentelle Umgang mit diesen Zeichen im Queerdiskurs.
Butler nimmt ihre eigene Rede von der Materialität der Zeichen nicht ernst
genug - Materie ist unvereindeutigbar. Und doch verweist sie in ihrer
Nachschrift des lesbischen Begehrens genau auf diese Uneindeutigkeit.
"Wie eine lesbische femme
erklärte mag sie es, wenn ihre Jungen Mädchen sind - [..]
das Objekt (und sicher gibt es
nicht nur eins) des Begehrens der lesbischen femme ist weder irgendein
entkontextualisierter weiblicher Körper noch eine diskrete,
übergeordnete männliche Identität, sondern gerade die
Destabilisierung beider Termini [..]
Sowohl die Identität der
butch wie der femme stellt die Vorstellung von einer ursprünglichen oder
natürlichen Identität in Frage, und gerade diese Infragestellung, wie
sie in diesen Identitäten zum Ausdruck kommt, wird zu einer Quelle
erotischer Bedeutung."[32]
Wieso nicht auch frauen männer,
nicht nur Jungen Mädchen, im Alltag, in der politischen Praxis und im
Begehren, das nie eins ist.
Das Lachen der Spiegelvölker
und ihre Lust an der Subversion ist keine Resignifikation der Zeichensysteme
sondern es unterminiert die Zeichensetzung selbst. Das Denken im Tauschwert
zeigt sich als absurder Tanz.
Im Gegensatz zu Butler gehe ich
davon aus, daß nicht nur ein Außerhalb des hegemonialen Diskurses
besteht, sondern das dieses allgegenwärtig ist und dem großen
Anderen, sei es Gott, Vater, Kultur, Staat, immer eine Nasenlänge voraus
und immer schon innerhalb. Die NärrIn spricht die Wahrheit;
"Laßt uns renitent werden", um im nächsten Moment zu
verschwinden. Zurück bleibt die Lücke, die ein Überfluß
ist.
Julia Kristeva bezieht sich in ihren
frühen Texten[33] auf das Karnevaleske Bachtins als
Möglichkeit die semiotische Grundlage der Diskurse ins Spiel zu bringen,
als Ausgangspunkt der Revolution, einer revolutionären Praxis. Die
Dialektik des Überflusses, der Praxis des Schreibens-Lesens ist aber Teil
aller Diskurse - überall.
Diesen Übefluß gilt es
aus der Praxis ausfließen zu lassen.
Als Vatertochter im männlichen Geschlecht,
die Tochter, lesbischer Muttersohn,
hielt sie mit Lust den leeren Spiegel,
der eben noch voller leuchtender Bilder war,
dem Vater und der Mutter zum Gedenken.
FIN
Literatur
AGGPG (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und
Gynäkologie)/Brandstr. 30/28215 Bremen - Hermaphroditen im 20.
Jahrhundert' - Bremen 1998
Atkinson, Ti-Grace - 'Amazonen Odyssee' - München
1976
Badinter, Elisabeth - 'Mutterliebe, Geschichte eines
Gefühls' - München 1996
Baudrillard, Jean - 'Das Perfekte Verbrechen' -
München 1996
Butler, Judith - 'Das Unbehagen der Geschlechter'
- Frankfurt a.M. 1991
Butler, Judith - 'Körper von Gewicht' -
Frankfurt a.M. 1997
Lewis, M./Yates, A. [Hg] - CHILD AND ADOLOSCENT PSYCHIATRIC
CLINICS of North America 'Sexual and Gender Identity Disorders' - Volume 2
Number 3 - Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokio July 1993
Foucault, Michel - 'Überwachen und Strafen' -
Frankfurt a.M. 1995
Foucault, Michel - 'Sexualität und Wahrheit' -
Band 1 - Frankfurt a.M. 1994
Hegener, Wolfgang - 'Das mannequin' - Tübingen
1992
Irigaray, Luce - 'Das Geschlecht das nicht eins
ist' - Berlin 1979
Irigaray, Luce - 'Speculum Spiegel des anderen
Geschlechts' - Frankfurt a.M. 1980
Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' -
Frankfurt a.M. 1989
Kristeva, Julia - 'Semiotike: Recherches pour une
Sémanalyse' - Paris 1969
Lacan, Jacques - 'Schriften I' - Olten 1973
Lacan, Jacques - 'Schriften II' -Olten 1975
Sigusch, Volkmar [Hg] - 'Sexuelle Störungen und ihre
Behandlung' - Stuttgart 1996
Wittig, Monique - 'The Straight Mind' - USA Boston
1992
Zucker, K.J./Bradley, S.J. - 'Gender Identity Disorder and
Psychosexual Problems in Childhood And Adolescents' - New York London 1995
[1] Irigaray, Luce - 'Speculum Spiegel des anderen Geschlechts' - Frankfurt a.M. 1980
[2] Irigaray, Luce - 'Frauenmarkt' - in: 'Das Geschlecht das nicht eins ist' - Berlin 1979
[3] Seite 93 - Butler, Judith - 'Das Unbehagen der Geschlechter' - Frankfurt a.M. 1991
[4] Wittig, Monique - 'The Straight Mind' - in: 'The Straigth Mind' - USA Boston 1992
[5] Irigara, Luce - DIE "MECHANIK" DES FLÜSSIGEN - in: Das Geschlecht das nicht eins ist - Berlin 1979
[6] Und wie die Atombombe damit durchaus ernstzunehmend nicht nur diskursiv real - d.h. sie sind gesellschaftlich produziert. Damit sind sie aber auch durch politische Änderungen abschaffbar.
[7] Badinter, Elisabeth - 'Mutterliebe, Geschichte eines Gefühls' - München 1996
[8] siehe ebd.
[9] Wo sollte der Phallus sonst herkommen, auch wenn viele so tun als wäre er vom Himmel gefallen. Womit wir bei der Jungfrauenzeugung und beim heiligen Geist angekommen wären, aber selbst dort bleibt die Mutter Maria, sie ist sein Unterpfand, welche sonst sollte Ihn (be)zeugen
[10] AGGPG (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie)/Brandstr. 30/28215 Bremen - 'Hermaphroditen im 20. Jahrhundert' - Bremen 1998
[11] Nach Einschätzung verschiedener AutorInnen (z.B. Birgit Rommelsbacher) werden ca. 30% aller Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder von Kindern ausgeübt (häufig zu mehreren).
[12] Die Kriminalisierung dient dabei der
Stabilisierung, der Machtverhältnisse. Ti-Grace Atkinson beschreibt ihre
Funktion als Schaffung einer kontrollierten Zwischenklasse, Michel Foucault
weist ebenfalls ihre Funktionalität für die Macht auf.
Atkinson, Ti-Grace - 'Amazonen
Odyssee' - München 1976
Foucault, Michel - 'Überwachen und Strafen' - Frankfurt a.M. 1995
[13] Seite 9 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[14] Seite 83 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[15] Unteroffizier
[16] Seite 83 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[17] Seite 83 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[18] Seite 73 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[19] Seite 73 - Kristeva, Julia - 'Geschichten von der Liebe' - Frankfurt a.M. 1989
[20] Meyenburg, Bernd - 'Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindes und Jugendalter' - in: Sigusch, Volkmar [H.g] - 'Sexuelle Störungen und ihre Behandlung' - Stuttgart 1996
[21] Die Diagnose 'gender identity
disorder (GID)of childhood' wurde zuerst 1980 in der dritten Ausgabe des
'Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorder' (DSM) publiziert von der
American Psychiatric Association aufgeführt. Die in der DSM
aufgeführten Diagnosen sind maßstabssetzend z.B. für die
Abrechnung mit Krankenversicherungen, und werden auch in Europa häufig
übernommen.
Im Artikel von Zucker/Green wird
unter anderen eine Skala zum 'Activity Level' und zu 'Rough an Tumble Play' mit
'erhöhten' Werten bei Mädchen und 'niedrigen' bei Jungen als Merkmal
der 'Krankheit' aufgeführt.
Zucker, K.J./Green, R. - 'Psychological and Familial Aspects Of Gender Identity Disorder' - in: Lewis, M./Yates, A. [Hg] - CHILD AND ADOLOSCENT PSYCHIATRIC CLINICS of North America 'Sexual and Gender Identity Disorders' - Volume 2 Number 3 - Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokio July 1993
[22] Seite 69 - DSM-IV criteria
(aktualisierte Fassung 1994) Table 4.10 Anatomic Dysphoria - in: Zucker,
K.J./Bradley, S.J. - 'Gender Identity Disorder and Psychosexual Problems in
Childhood And Adolescents' - New York London 1995
Zur Phenomenologie der 'Erkrankung' werden außerdem ausführlicher aufgeführt 'Identity Statements', 'Cross-Dressing', 'Toy and Role Play', 'Peer Relations', 'Manerisms and Voice', 'Anatomic Dysphoria', 'Rough-and-Tumble Play'.
[23] Seite 68 - ebd.
[24] AGGPG (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie)/Brandstr. 30/28215 Bremen - 'Hermaphroditen im 20. Jahrhundert' - Bremen 1998
[25] Irigaray, Luce - 'Waren untereinander' - in: 'Das Geschlecht das nicht eins ist' - Berlin 1979
[26] Entsprechend dem mathematischen Begriff der bijektiven Abbildung.
[27] Da ein Raster, d.h. die
digitalisierten Kategorien, die Realität verfehlen muß, und jede
Identität neue Ausschlüsse produziert, ist dies eine Endlosschleife,
in der immer weitere Identitäten produziert werden.
Im Spiegelbild entstehen immer neue
Brüche - auch im eigenen, die sorgsam verdeckt oder ausgegrenzt werden
müssen. So wird das Blickfeld immer schmaler, und das Subjekt verliert
sich gleichzeitig in der so erzeugten Vielfalt, der Vervielfältigung der Einfalt.
Mit wem unter all diesen anderen sollte es da noch eine Revolution machen?
[28] In dem die Regeln dazu da sind um umgeworfen zu werden, bzw. keine Regeln existieren.
[29] Seite 20 - Wittig, Monique- 'One is not born a woman' - in: 'The Straight Mind' - USA Boston 1992
[30] Hegener, Wolfgang - 'Das mannequin' - Tübingen 1992
[31] Baudrillard, Jean - 'Das Perfekte Verbrechen' - München 1996
[32] Seite 182/183 - Butler, Judith - 'Das Unbehagen der Geschlechter' - Frankfurt a.M. 1991
[33] Vor allem in den Texten die in:
'Semiotike: Recherches pour une Sémanalyse' - Paris 1969 von ihr
publiziert wurden.
Das Geschlecht der Dekonstruktion
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Impressum: Paula & Karla Irrliche
Zuletzt aktualisiert 30.10.2014
Geschlecht, Dekonstruktion. Wider die Bezeichnungsweisen des Geschlechts ein feministisch theoretischer Text von Anna Chii über Julia Kristeva Luce Irigaray Jaques Jacques Lacan Judith Butler - Texte über; Anarchie anarchistisch Anarchismus Lpolitische privat Feminismus Antisexismus antisexistisch Poststrukturalismus Feministische Theorie schwul lesbisch Sexuelle Gewalt Queer Familie Kinder Michel Foucault
Das Geschlecht der Dekonstruktion
Ist die Dekonstruktion entsprechend ihres Prädikats weiblichen Geschlechts oder ist dies Täuschung, ist das Geschlecht der Dekonstruktion tatsächlich männlich?
Ist DIE Dekonstruktion also eine Travestie, oder ist ihr zugewiesenes Geschlecht im Widerspruch zum empfundenen, ist die Dekonstruktion transsexuell?
Natürlich könnten auch all diese Annahmen über DIE Dekonstruktion in die Irre führen, wenn es sich bei ihr um eine/n Intersexuelle/n handelt.
Dann hätten die Ärzte bei ihrer Geburt über das Geschlecht entschieden und sie entsprechend zu recht geschnitten.
Aber vielleicht ist die Dekonstruktion mit der ärztlichen Zuweisung nicht in Übereinklang.
Sie meinen, das ist doch Unsinn.
Ja, ohne zwanghafte Geschlechtszuweisung gäbe es gar keine Intersexualität, keine Transsexualität, keine Travestie, usw., zumindest nicht als Kategorien der Abweichung.
Die geschlechtliche Norm wird nicht nur gewaltsam aufrecht erhalten, sie bedingt auch Gewalt.
Und in diesem Zusammenhang von Geschlecht und Norm, in der Außerkraftsetzung der Norm, liegt auch der Sinn der Dekonstruktion für den Feminismus.
Die durch den Prozess der Dekonstruktion erkennbar werdende normative Gewalt der Geschlechtszuweisung und ihre im Prozess der Dekonstruktion offensichtlich werdende Funktion kann der Feminismus als Ausgangspunkt für den politischen Kampf nutzen und als Kritik aufgreifen.
Feminismus, verstanden als Kampf gegen heterosexistische normative Zuweisungen durch Geschlechts(rollen)zuweisung, findet in der Praxis der Dekonstruktion ein Instrument für die praktische Theorie.
Das Geschlecht der Dekonstruktion ist feministisch.
Anna Irrliche, 2008