Z.Z.


Sexuelle Gewalt gegen Jungen

- Zum Zusammenhang von Militarismus & Sexismus -



"Die [..] Daten der FBI-Statistiken und einige gründliche soziologische Untersuchungen die allmählich auftauchen, lassen deutlich erkennen, daß der durchschnittliche Notzuchttäter kein Unhold ist, kein von Angst geschüttelter Schizophrener, der unter Sexualnot leidet und eine herrschsüchtige Frau oder Mutter hat. Obwohl es den psychisch gestörten Notzuchttäter, mit welchem familiären Hintergrund auch immer, wie auch den psychisch gestörten Mörder tatsächlich gibt, so ist er doch die Ausnahme und nicht die Regel. Der typische Notzuchttäter ist kaum mehr als ein aggressiver, feindselig eingestellter junger Mann, der seine Gewalttätigkeit an Frauen ausläßt." (Susan Brownmiller "Gegen unseren Willen - Vergewaltigung und Männerherrschaft" - S. 140)

"Wenn wir jedes strafbare sexuelle Verhalten als Sexualdelikt etikettierten, würden wir uns in der lächerlichen Situation befinden, daß die gesamte männliche Geschichte voller Sexualtäter wäre. Die wenigen, die übrig bleiben, sind nicht nur Nichttäter, sondern auch Nonkonformisten. Der Mann, der das Mädchen [sic] gegen ihren ausdrücklichen Wunsch küßt, erzwingt eine sexuelle Beziehung und könnte strafrechtlich verfolgt werden. Ihn aber allen Ernstes zum Sexualtäter zu stempeln, würde unsere Untersuchung auf ein lächerliches Niveau absenken." (WissenschaftlerInnen des Kinsey-Institutes zitiert nach Andrea Dworkin "Pornographie - Männer beherrschen Frauen" - S. 67)

Im Laufe der neueren Geschichte gab es immer wieder die verschiedensten Mythen über Vergewaltiger, der Vergewaltiger als der rassisch Andersartige, der Vergewaltiger als der im Dunkeln lauernde Psychopath, u.a.. All diese Stereotypen wurden von der feministischen Kritik widerlegt.
Die Bedürfnisse die sich in diesen Stereotypen wiederspiegeln sind allzu offensichtlich. Der gebildete weiße Mitteleuropäer spricht sich frei, und die gebildete weiße Mitteleuropäerin spricht ihren Mann, Freund, Vater, Sohn frei, der doch nicht, der doch ganz bestimmt nicht. Es bedarf eines Faktums außerhalb der eigenen Normalität, das mensch den Vergewaltigern anheften kann, um sich selbst oder männliche Bezugspersonen als nicht Betroffene stehen zu lassen. Gefeit gegen diese Bedürfnisse der Verdrängung sind auch keine Antimilitaristlnnen, Anarchistlnnen - im Gegenteil, gerade sie können dieses Wissen nicht zulassen. Und das, obwohl keine/keiner leugnen würde, daß patriarchale Gewalt zu ihrem Alltag gehört.

Eine Ausnahme bilden vielleicht lesbische feministische Zusammenhänge, die explizit jegliche engere Beziehung zu Männern ablehnen. Die Benennung patriarchaler Gewalt von Männern ist hier oft auch genauer und weitgehender.

Eine aktuelle Variante diese Mythos wird heute teilweise auch in der anarchistischen Öffentlichkeit vertreten. Männer, die (im Krieg) vergewaltigen, seien (zumindest in ihrer Mehrzahl) in ihrer Kindheit selbst Opfer sexueller Gewalt gewesen, damit ist dann Mann selber oder die männliche Bezugsperson aus dem antimilitaristischen Spektrum außen vor, denn entweder ist Mann nicht betroffen, als Kind nicht sexuell mißbraucht worden, wie die Mehrheit der Männer, oder ist opferidentifiziert und damit entsprechend handzahm. (Z.B. in der graswurzelrevolution Nr.184 im Artikel "Der Krieg entsteht aus sexueller Zerstörung"). So heißt es denn auch in dem Graswurzelartikel, "Bei den Kriegsdienstverweigerern in der genannten Untersuchung fällt auf, daß sich entweder keine Hinweise auf frühe sexuelle Gewalterfahrung finden oder eine eindeutige Opferidentifikation."
Dabei ist das Problem nicht die Fragestellung nach dem Zusammenhang sexueller und militärischer Gewalt. Sicher ist eine Entwicklung von Männern, die als Kinder sexuelle Gewalt erlebt haben, wie die beschriebene denkbar, also daß diese Männer, als Mittel der Verdrängung der eigenen Erfahrung Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein, selbst zu Tätern werden. Nur ist dieser Zusammenhang nicht zwingend und außerdem mit Sicherheit nicht hinreichend militärische und sexistische Gewalt zu erklären.

Es gibt zwar einige Untersuchungen, die Belegen, daß ein sehr großer Anteil der inhaftierten Notzuchttäter als Kind sexuell mißbraucht worden ist. Diese Untersuchungen beziehen sich aber allesamt auf psychisch auffällige Häftlinge.
Ich würde dieses Ergebnis auch umgekehrt lesen, in der Form, daß fast alle Männer, die als Kinder sexuell mißbraucht wurden, falls sie später selbst zu Tätern im Bereich sexueller Gewalt werden, erstens sich sozial auffällig verhalten, also auch eher polizeilich auffällig, und damit einen statistisch überhöhten Anteil an den inhaftierten Notzuchttätern stellen (er wohletablierte Familienvater landet halt nicht im Gefängnis), und zweitens psychische Störungen aufweisen.
Die soziale und psychische Auffälligkeit ergibt sich fast zwangsläufig aus der mit der Notwendigkeit der Verdrängung sich ergebenden psychischen Strukturierung. Ein Mann, der als Kind sexuell mißbraucht wurde, und selbst zum sexuellen Gewalttäter wird, der durch die eigene Täterschaft die Opferrolle abstreifen will, muß seine eigene Gewalterfahrung verdrängen.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist aber kein Ausnahmedelikt, begangen von psychisch gestörten Ausnahmetätern, es ist Alltag im Patriarchat.
Auch wenn aufgrund hoher Dunkelziffern vieles nicht eindeutig bestimmt werden kann, ist eine Aussage selbst von patriarchal geprägten WissenschaftlerInnen, wie denen des Kinsey Institutes, nicht zu leugnen.
Männer die sexuelle Gewalt gegen Frauen ausüben sind in keiner Weise vom Durchschnitt der Männer zu unterscheiden. Dies gilt schon deshalb da praktisch alle Männer auf die eine oder andere Art und Weise an der Ausübung sexueller Gewalt (Pornographie, Körpersprache) beteiligt sind, die Übergänge zu Vergewaltigung und anderen illegalen Formen patriarchaler Gewalt gegen Frauen sind fließend.
Dies gilt aber auch bei konkreten Untersuchungen des Täterprofils kriminalstatistisch erfasster Täter.
"Bei einem kriminalistischen Vergleich von Gewaltverbrechen zeigt sich, daß das Profil des Notzuchttäters genau die Mitte einnimmt zwischen dem Tätertyp, der gefährliche Körperverletzung, und dem der Raub (Raubtäter)* begeht." (Susan Brownmiller "Gegen unseren Willen - Vergewaltigung und Männerherrschaft" S. 148)

Die Bandbreite der Agierenden, z.B. Prostitutionstouristen (siehe: agisra - "Frauenhandel und Prostitutionstourismus - Eine Bestandsaufnahme"), im Rahmen sexueller Gewalt- und Machtausübung macht deutlich, daß sich zum Teil die Form der Gewaltausübung gegen Frauen und Kinder, mit dem sozialen Umfeld der Männer ändert, aber nicht das Faktum.
Es sind auch nicht nur die offensichtlich militaristischen und hierarchiefixierten Männer die sexuelle Gewalt ausüben. Über die Täter im Bereich Kinderprostitution heißt es z.B. "alles ganz normale Männer, Männer aller Alters- und Berufsgruppen, Männer aller gesellschaftlichen Schichten und Gehaltsgruppen, Familienväter, Junggesellen - äußerlich zeichnet sie nichts besonderes aus." (terre des hommes "Alles käuflich - Kinder in der Prostitution")
"Bisherige Untersuchungen ergaben Lipka zufolge, daß die meisten Sextouristen, die Kinder in Thailand oder Sri Lanka mißbrauchen, kein Schuldempfinden zeigen. Aufgrund einer "inneren Leere" suchten sie immer extremere und exotischere sexuelle Reize. Vermutlich sei nur eine Minderheit der Täter in ihrer Sexualität krankhaft auf Kinder fixiert und daher therapiebedürftig, sagte die Referentin bei der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland vor Journalisten. Die meisten seien offenbar Gelegenheitstäter." (epd evangelische Information 20/1993)
Insofern ist die Klassifikation des 'typischen' Tätertyps auch je nach Interessenlage austauschbar. Einer der Initiatoren der Kampange gegen Kinderprostitution Ron O'Grady charakterisiert in seinem Buch z.B den typischen 'Pädophilen' als "Akademiker oder freiberuflich arbeitenden Mann mittleren Alters. Möglicherweise ist er Arzt (häufig Kinderarzt), Lehrer, Sozialpädagoge oder Geistlicher. Meistens hat er beruflich mit Kindern zu tun oder ist in seiner Freizeit in der Kinderarbeit engagiert. Er ist wahrscheinlich verheiratet - oder war es - und hat Kinder" (Ron O'Grady "Gebrochene Rosen"). Auch diese Charakterisierung ist aufgrund der obengenannten Aussagen in Frage zu stellen.

Die sexuelle Gewalt gegen Kinder wurde erst in den letzten Jahren in ihrem vollen Ausmaß thematisiert. Genaue Zahlen sind auch hier nicht benennbar. Die Aussagen über die Zahl der Betroffenen schwanken für Jungen zwischen 25% und 2% in den mir bekannten Veröffentlichungen, die Zahl der betroffenen Mädchen wird grundsätzlich als erheblich höher angenommen. Die Täter sind fast ausschließlich Männer. Die Definition des Begriffs sexuelle Gewalt ist ebenfalls nicht eindeutig. Außerdem ist festzustellen, daß Erlebnisse sexueller Gewalt von Männern sehr unterschiedlich verarbeitet werden (Florence Rush "Das bestgehütete Geheimnis sexueller Kindesmißbrauch").

Gerade die Ambivalenzerfahrung, Ohnmacht gegenüber der Gewalt, Ausgeliefertsein als Objekt, ScheinMacht als begehrtes Objekt, ScheinVerantwortung als Mitwisserln macht es dem Kind und späteren Erwachsenen so schwer mit der Erfahrung sexueller Gewalt umzugehen.
Letztendlich sind die genauen Zahlen aber irrelevant, sexuelle Gewalt gegen Kinder ist offensichtlich ein zentraler Bestandteil alltäglicher patriarchaler männlicher Gewaltausübung. Richtig ist aber auch, daß Männern, die als Kinder sexuell mißbraucht wurden, eine Minderheit sind. Aufgrund des heutigen Wissensstandes über sexuellen Mißbrauch ist außerdem davon auszugehen, daß die Betroffenen signifikante Verhaltensänderungen aufweisen. Wären Männer, die als Kinder sexuelle mißbraucht worden sind, überproportional an sexuellen Notzuchtdelikten beteiligt, müßte sich dies in den soziologischen Untersuchungen wiederfinden lassen. Dies ist aber nicht der Fall.
Natürlich ist immer die Aussagekraft derartiger 'wissenschaftlicher Untersuchungen' zu hinterfragen. Differenzierte Untersuchungen würden wahrscheinlich auch bestimmte Zusammenhänge zwischen sexueller Gewalt gegen männliche Kinder und Militarismus aufzeigen, als einen Zusammenhang unter anderen.

Klaus Theweleit belegt in seinem Buch "Männerphantasien" für die spezifische Gruppe der ehemaligen Frontsoldaten den Zusammenhang zwischen Militarismus, und durch Erziehungsgewalt verursachte frühkindliche Entwicklungsstörungen. und beschreibt die spätere soldatische und männliche Sozialisation auf der Basis dieser frühkindlichen Entwicklungsstörungen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung auf andere militaristische Zusammenhänge auszudehnen ist sicher nicht unberechtigt, kann aber nicht unkritisch erfolgen. So sind die Sozialisationsbedingungen in Jugoslawien sicher andere als im Deutschen Kaiserreich. Der Begriff Erziehungsgewalt ist ähnlich gefaßt wie der von Alice Miller in "Am Anfang war Erziehung" verwendete. Klaus Theweleit bezieht sich explizit auf gesellschaftlich legitimierte Gewalt gegen Kinder allgemein und nicht auf sexuelle Gewalt.
Sexuelle Gewalt, hierarchische homosexuelle Beziehungen innerhalb des Militärs, behandelt Klaus Theweleit explizit für den Zeitraum der späteren Sozialisation, und belegt ihre untergeordnete Relevanz für die Sozialisation des "Soldatischen Mannes" (Klaus Theweleit "Männerphantasien").
Die Psychodynamiken die Theweleit beschreibt basieren für ihn auf der nicht erfolgten frühkindlichen Subjektkonstitution, bzw. einer Subjektkonstitution und Selbstdefinition, die über die Einbettung in gewaltförmige Hierarchien erfolgt. Das Subjekt definiert sich über seine äußeren Grenzen, deshalb erscheint jede Infragestellung der es umgebenden Hierarchien als lebensbedrohlich.
Innerhalb eines heterosexuell strukturierten Patriarchats stellt aber jede homosexuelle Beziehung eine Infragestellung gegebener Hierarchien dar.
Zwar ist durchaus eine gesellschaftliche Organisation denkbar in der sexuelle Gewalt auch gegen männliche Kinder systemstabilisierend wirkt, dies setzt aber voraus, daß es sich um eine gesellschaftlich akzeptierte und hierarchisch normierte Form der Sexualität handelt. Das Antike Griechenland und einige Stammesgesellschaften (Maurice Godelier "Die Produktion der Großen Männer") geben hierfür Beispiele.

In diesem Sinn würde ich auch Andrea Dworkin darin folgen, daß innerhalb des heterosexistisch organisierten Patriarchats die Gefahr besteht, "daß der sexuelle Mißbrauch von Knaben durch nahe Verwandte. die Macht der Männer als Klasse allzu sehr bedrohen würde. [..] Ein sexueller Kampf Mann gegen Mann zwischen Vater und Sohn würde das Gewebe des Patriarchats überdehnen."(Andrea Dworkin "Pornographie - Männer beherrschen Frauen")
Ein vergewaltigtes männliches Kind muß sich nicht zwangsläufig mit dem sexuellen männlichen Gewalttäter identifizieren um eine männliche (Täter)Identität (hier im weiteren sozialen Sinne gemeint) herauszubilden. Männlichkeit ist über sehr verschiedene Formen von Macht, Gewaltausübung und Täterschaft definiert. Florence Rush zitiert aus einer Untersuchung über Männer, die als Kinder sexuell mißbraucht worden sind, daß z.B. beruflicher Erfolg eine Möglichkeit darstellt die Opferrolle zu durchbrechen, ohne in diesem Fall auf eine Verdrängung des sexuellen Mißbrauchs angewiesen zu sein. Eine andere Möglichkeit die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen liegt im ausagieren der Gewalt gegen den Täter, dies benennt Andrea Dworkin. Ein als Kind mißbrauchter Mann mit männlicher patriarchaler Identifikation ist in der Lage seinen Mißbrauch auch gegenüber dem Täter auszuagieren, töten ist in der patriarchalen Norm allemal der männlich sexuellere Akt als vergewaltigen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß die Gewalt gerade auch in der Hierarchie höherstehende Männer treffen würde, die Vaterimagios. Als Militarist ist dieser Mann unbrauchbar, schließlich geht es nicht darum die Offiziere zu erschießen.
Für Frauen existiert diese Möglichkeit der Herausbildung einer Täterinnenidentität (hier auch im weiteren sozialen Sinne gemeint) aufgrund der patriarchalen Gesellschaftsstruktur im allgemeinen nicht, oder nur im Bruch mit ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation.

Sexuelle Gewalt gegen männliche Kinder kann konstitutiv für das Patriarchat wirken, sie kann aber auch gerade zur Infragestellung vorgefundener Hierarchien führen. Sexuelle Gewalt gegen Männer und männliche Kinder wird, und wurde dementsprechend auch in der Kaiserzeit bis auf wenige Ausnahmen gesellschaftlich scharf sanktioniert, im Gegensatz zur sexuellen Gewalt gegen Frauen und weibliche Kinder.
In dieser Gesellschaft ist ein soziales (d.h. sozial angepaßtes) Verhalten immer ein die patriarchalen Strukturierungen und bestehenden Hierarchien bestätigendes. Der Mißbrauch männlicher Kinder innerhalb dieser Gesellschaft stört diese soziale Anpassung.

Militarismus und Sexuelle Gewalt sind aber nicht voneinander zu trennen, deutlich wird dies am Beispiel der Militärprostitution. Verena Fiegl stellt zurecht fest, daß zwischen Vergewaltigung und Militärprostitution in vielen Fällen nicht unterschieden werden kann. Am deutlichsten ist dies vielleicht an der offensichtlichen Zwangsprostitution in den deutschen und japanischen Militärbordellen zu sehen. Ehemalige koreanische Zwangsprostituierte streiten deshalb zur Zeit für eine offizielle Entschuldigung und Wiedergutmachung (Bericht in der Überblick 2/93).
Aber auch der Zwang durch soziale Verelendung und Perspektivlosigkeit ist Zwang. Und Militärprostitution existiert in allen Zusammenhängen. So kam es in Kroatien und Bosnien im Zusammenhang mit den UN-Truppen zu einem Boom der Prostitutionsindustrie (Pacific News Service 20.7.93 "UN Troups create Boom in Prostitution in Croatia"). und zu Vergewaltigungen (Pacific News Service 4.6.93 "Answers needed to Charges of UN Misconduct in Bosnia"). Auch in Kambodscha bildete sich um das UN Personal eine Prostitutionsindustrie mit 100.000 - 200.000 Prostituierten (Berichte in ak und graswurzelrevolution 177). Die Reduktion von Frauen auf Objekte, sei es als käufliche Ware oder durch personale Gewalt, ist also das übliche Verhalten von Soldaten.
In diesem Verhalten spiegelt sich keine besondere Gewalt wider, die diese Männer als Kinder erlebt haben, die alltägliche männliche Sozialisation, die 'normale' männliche Identität reicht völlig aus.
Verena Fiegl hat in dem Buch "Der Krieg gegen die Frauen - Der Zusammenhang zwischen Sexismus und Militarismus" diesen Zusammenhang ausführlicher dargestellt. In Anlehnung an Theweleit und ähnlich der Objektbeziehungstheorie geht sie davon aus, daß das männliche Kind seine geschlechtliche Identität in Abgrenzung zur Mutter und später in Identifikation mit Gewalttätigkeit und Macht herausbildet. In diesem Kontext ist Männlichkeit identisch mit der Reduktion von Frauen auf Objekte, und Machtausübung. Sexismus ist Bestandteil jeder männlichen Identität. Auf diesem Faktum baut das Militär auf. Es baut auf den sexistischen Strukturierungen dieser Gesellschaft auf und ist Teil dieser Strukturierungen. "Der sexistische und rassistische Grundgehalt jeder militärischen Ideologie schafft für den Soldaten, der keinen konkreten Gegner in nächster Zukunft hat, einen "Boden", auf dem er stehen kann und über dem/der er steht." (Verena Fiegl "Der Krieg gegen die Frauen - Der Zusammenhang zwischen Sexismus und Militarismus" S.137)
"Das militärische Training verbindet Sexualität mit Dominanz, Aggression und Gewalt." (Verena Fiegl "Der Krieg gegen die Frauen - Der Zusammenhang zwischen Sexismus und Militarismus" S.138) Diese Sätze sind bezogen auf die Bundeswehr.

Das Militär ist spezialisiert auf personale Gewalt, deshalb sind hier vielleicht die Herrschaftsmechanismen am offensichtlichsten. Es ist nicht Teil der Alltagsgewalt, die Gewalt im Krieg ist nicht mit der Alltagsgewalt in eins zu setzen - die Strukturierung unseres Alltags bildet aber die Vorraussetzung für die männliche/militaristische Sozialisation. Von Vergewaltigungen in Jugoslawien wurden Videos angefertigt die auf dem Pornographiemarkt vertrieben werden (MS, Emma), so schließt sich der Kreis zwischen ziviler und militärischer sexueller Gewalt.

Zentral an der Aussage Klaus Theweleits, und erst Recht an der Aussage Alice Millers zu Erziehungsgewalt ist, daß es sich hierbei nicht um ein Minderheitenproblem handelt, sondern um ein Stück Alltagsrealität. Das schließt auch jegliche therapeutische Lösung des Problems aus, und weist auf die politischen Implikationen hin. Es bedarf politisch gesellschaftlicher Veränderungen. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit den individuellen psychosozialen Strukturierungen voraus, um bewußt mit den eigenen Verletzung umzugehen. Und dies gilt für Alle. Psychosoziale Strukturierungen als unabwendbares Schicksal zu begreifen ist schlichtweg falsch. Ich kann zwar meine Verletzungen, und meine Wut nicht negieren, ich kann sie aber gegen ihre Ursachen richten, auch wenn dies einen langen Prozeß der Auseinandersetzung voraussetzt.
Ein Ziel das im Zusammenhang der feministischen Auseinandersetzung mit patriarchaler Gewalt gegen Frauen oft genug formuliert wurde.
Den aus Verletzungen resultierenden Haß, die Wut, ausschließlich negativ zu besetzen, heißt die Opfer psychopathologisch zu stigmatisieren. Haß und Wut sind auch Ausgangspunkte positiver Veränderung. Wieso sollte ein Mensch die/der als Kind sexuelle Gewalt erlebt hat diese Erfahrung nicht auch gerade in der Auseinandersetzung gegen Patriarchat und Sexismus ausagieren können. Dies setzt natürlich einen differenzierten Begriff von TäterInnenschaft voraus, der nicht jede Form von agierenden machtvollen Handeln stigmatisiert.

Die Tabuisierung von Wut und Haß, die Ausgrenzung, schützt nur die Täter.



Quellen und Literatur zum weiterlesen

Verena Fiegl - "Der Krieg gegen die Frauen - Der Zusammenhang zwischen Sexismus und Militarismus" - Bielefeld 1993
Klaus Theweleit - "Männerphantasien" - Frankfurt (a.M.) 1977
Susan Brownmiller - "Gegen unseren Willen - Vergewaltigung und Männerherrschaft" - Frankfurt (a.M.) 1980
Andrea Dworkin - "Pornographie - Männer beherrschen Frauen" - Köln 1988
Florence Rush - "Das bestgehütete Geheimnis sexueller Kindesmißbrauch" - Berlin 1988
agisra - "Frauenhandel und Prostitutionstourismus - Eine Bestandsaufnahme" - München 1990
Alice Miller - "Am Anfang war Erziehung" - Frankfurt (a.M) 1983





Texte zum Thema sexistischer und sexueller Gewalt gegen Kinder aus anarchistischer Sicht - und zum eigenen Umgang mit sexueller Gewalterfahrung - Z.Z.



Seitenanfang

Sexuelle Gewalt gegen Jungen











Copyright für alle hier publizierten Texte von Z.Z.: CC 00



Public Domain

Copy & Paste!

Die Texte von Z.Z. dürfen beliebig abgeschrieben, abgedruckt, zitiert, gespiegelt, weiterverwendet werden. Wer das tun will: nur zu! Bitte schickt falls möglich ein Belegexemplar / einen Link an die HerausgeberInnengemeinschaft Irrliche. Wir freuen uns auch, wenn die Quelle angeben wird und über eine Verlinkung. Bei Angabe der Autorin bitte keine Textänderungen ohne Absprache vornehmen. Für Leute, die es - warum auch immer - rechtlich verbindlich haben wollen. Diese Texte sind vollständig gemeinfrei. Sie stehen unter der
Lizenz Creative Commons Zero (CC 0) - https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/ - This work is licensed under a Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication International License -.









Impressum: Paula & Karla Irrliche







Zuletzt aktualisiert 30.10.14



Sexuelle Gewalt gegen Jungen - Zum Zusammenhang von Militarismus & Sexismus - Eine Kritik an der Diffamierung der von sexueller Gewalt betroffenen Kinder als zukünftige Täter und der damit einhergehenden Ausblendung des Sexismus und Militarismus in der ganz normalen männlichen Sozialisation auch in linken Texten - über; Jungen Kindesmissbrauch Seuelle Identität Geschlechtsidentität Männer Täter Vergewaltigung Inzest Sexuelle Gewalt Familie Kinder phädophil Widerstand Kindesmißbrauch lesbisch Lesben Queer schwul Sexualitaet Norm


















Sexuelle Gewalt gegen Jungen


Die Bedeutung sexueller Gewalt für die Sozialisation von Jungen wird meist unterschätzt.

Dabei geht es hier nicht primär um sexuelle Gewalt gegen Jungen, die im Kontext strafbarer Handlungen stattfindet, sondern um die alltägliche sexuelle Gewalt der Jungen in ihrer Peergroup ausgesetzt sind.
Sexuelle Gewalt gehört für viele Jungen sowohl in der familiären Sozialisation als auch in der Sozialisation im Freundeskreis zum Alltag. Gemeint ist hier die sexuelle Gewalt gegen Jungen, die sich z.B. in sprachlichem Sexismus äußert und Jungen, dort wo sie nicht männlichen Normvorstellungen genügen, zu 'Frauen' macht. Diese sexuelle Gewalt gegen Jungen geht dabei fließend über auch in körperliche Übergriffe die häufig unter dem Begriff des rauheren männlichen Umgangs getarnt werden. Dabei geht es hier im Begriff sexuelle Gewalt gegen Jungen nicht primär um gewaltsame Sexualität sondern um sexualisierte Gewalt.
Ein typisches Beispiel für eine solche Form sexueller Gewalt unter Jungen wäre, daß ein Jungen von anderen Jungen der Klicke erst mit Sprüchen, die ihn als 'weiblich' diffamieren niedergemacht wird, um ihn dann auch mit körperlichen Handlungen, die gewaltsame Sexualität andeuten, z.B. Umklammerung von hinten "Ha, ha ich fick Dich", zu demütigen. Die Schwelle zur gewaltsam erzwungenen Sexualität wird meist nicht Überschritten und ist auch tabuisiert, trotzdem ist diese Handlung ganz klar als Akt sexueller Gewalt gegen den Jungen zu begreifen.

Da Hierarchien in Jungencliquen wesentlich über solche Formen sexualisierten sexistischen Dominanzgebahrens zwischen den Jungen hergestellt und ausgedrückt werden, gehört die Erfahrung sexueller Gewalt für viele Jungen zum Alltag und ist für fast alle eine Drohung, im Fall des Versagens vor den Anforderungen der männlichen Gruppennorm.
Sexuelle Gewalt gegen Jungen durch andere männliche Jungendliche ist insofern in dieser Gesellschaft heute ein zentrales Moment männlicher Sozialisation.

Dieser Alltag sexueller Gewalt gegen Jungen findet sich auch vielfach abgebildet in den auf diese Gruppe zielenden Filmen. Im Regelfall wird dort sexuelle Gewalt, im Sinne sexualisierter Gewalt, gegen schwache Männer als gerechtfertigt dargestellt.
Die militärische Ausbildung knüpft mit ihrem Sexismus direkt an diese Erfahrung sexueller Gewalt von Jungen an und nutzt sie um die jungen Männer zutiefst zu verunsichern mit der Drohung sie wieder in dieses Stadium der sexuellen Verletzbarkeit zurükzuversetzen. Aber auch in vielen anderen Arbeitsbereichen wird körpersprachlich oder auch direkter zwischen Männern zur Durchsetzung von Hierarchien auf sexuelle Gewaltbezüge zurückgegriffen.

Um die von Männern gegen Frauen ausgeführten sexuellen Gewalthandlungen zu begreifen ist es notwendig diese Alltagserfahrung sexueller Gewalt von Jungen in ihrer Sozialisation im Kopf zu behalten. Sexismus und sexuelle Gewalt sind nicht allein auf das Geschlechterverhältnis bezogen sondern vielleicht sogar noch stärker innerhalb der männlichen Peergroup relevant.

Die sexuelle Gewalt gegen Jungen ist auf der einen Seite mit der sexistischen Abwertung von Frauen auf das engste verknüpft und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Sexismus sind für Jungen und für Männer, die selbst auf Grund ihres niedrigen Sozialstatus alltäglich sexistischer Erniedrigung ausgesetzt sind, eine Möglichkeit der Selbstermächtigung.

Um Sexismus gegen Frauen zu bekämpfen ist es deshalb dringend notwendig auch die sexualisierte Gewalt unter Jungen zu stoppen.


Anna Irrliche, 2008