J.Djuren


Thesen zur Modernisierung der Bevölkerungspolitik

oder

wer kocht dem Banker sein Chop Suey?

 

 

Alles muß sich ändern damit alles beim Alten bleibt - dies gilt auch für die Bevölkerungspolitik und ihre Funktionär(Inn)e(n). Entsprechend wird die Bevölkerungspolitik nun "frauenfreundlich" verpackt und den Anforderungen aktueller Wirtschaftsentwicklungen angepaßt. Von KritikerInnen dieser Denkungsarten wurde für diese Form modernisierter Herrschaftspolitik der schöne Begriff Glokalisierung geprägt, global sich ausbeuten lassen und lokal die Ausbeutung optimieren. Wir wollen im folgenden einige Thesen zu aktuellen Entwicklungen zur Diskussion stellen.

 

 

Ausgangspunkt Überbevölkerung

 

'Die Demographie stellt Daten über Ressourcen (wie Bruttosozialprodukt, Nahrungsmittelproduktion etc.) und über die Anzahl von Menschen abstrakt gegenüber und errechnet eine optimale Bevölkerungszahl, indem sie die - eigentlich von gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmten - Daten über benötigte und produzierte Ressourcen statistisch setzt. Sie nehmen so die Form von Naturgesetzen an.' [Susanne Schulz]

Bevölkerungspolitik dient der gezielten Ausblendung gesellschaftlicher Herrschaftszusammenhänge und der Festlegung auf die eine 'zivilisatorisch fortschrittliche', westliche, kapitalistische, der konsumorientierten freien Marktwirtschaft verpflichtete und nun auch nachhaltige Gesellschaftsform als der einzig denkbaren und daseinsberechtigten. Eine Aussage über die Folgen einer bestimmten Bevölkerungsdichte läßt sich nur kontextuell treffen; dieser Kontext ist aber selbst Teil der politischen Verhältnisse. Gäbe es eine objektive Maßzahl, müßte vor allem Europa als vollkommen überbevölkert angesehen werden. Doch während jeglicher Bevölkerungszuwachs jenseits der goldenen Industriegrenzen Klaustrophobie in deutschen Heimen auslöst; sorgt ein Sinken bundesdeutscher Vermehrungsquoten für düstere Prognosen des Aussterbens und weitere Überfremdungspropaganda.

'Die Bevölkerungswissenschaft trennt so die planende Menschheit als Subjekt von der zu regulierenden Bevölkerung - als analog der "Natur" - zu beherrschendem Objekt. Diese ideologische Konstruktion legitimiert die Definition einer Gruppe von Menschen als überzählige, ökonomisch und ökologisch nicht integrierbare "Überbevölkerung" und spricht ihnen damit die Existenzberechtigung ab. Bei der Selektion einer als überzählig definierten Gruppe kann Bevölkerungspolitik sich auf rassistische Selektionsmechanismen berufen, oft ohne diese offen auszusprechen (vgl. Aly/Heim und Pinn/Nebelung).' [Susanne Schulz]

Der Fokus auf die Bevölkerungszahl ist auch im statistischen Denken selbst unsinnig. Andere Maßzahlen haben eine um ein vielfaches größere Bedeutung für den Ressourcenverbrauch und ökologische Folgen (z.B. Bruttosozialprodukt/Industrieproduktion). Die Schwankungen, die durch die industrielle "Entwicklung" verursacht werden, übertreffen bei weitem den Effekt des Bevölkerungswachstums. Deutlich wird dies z.B. in der Tatsache, daß eine weltweite "Ober-Schicht" für Luxuskonsum und Machterhalt mehr als 100 mal soviel verbraucht, wie die Mehrheit der Bevölkerung z.B. in Bangladesh. Die industrielle Entwicklung in Malaysia, Indonesien oder China ist für den Ressourcenverbrauch der Region und die ökologischen Folgen weitaus bedeutsamer als die Bevölkerungsentwicklung.

Die Bevölkerungspolitikpropaganda dient der Ablenkung von den realen Ursachen sozialer und ökologischer Probleme. Statt "Ober-Schichten" und Länder der "Ersten Welt" als VerursacherInnen von Verelendung, Migrationsbewegungen und ökologischen Katastrophen zu benennen, findet eine altbekannte Schuldzuweisung statt. Populistisches Cherchez la femme: ohne Verhütung wird nicht gevögelt; jedenfalls nicht, wenn die Nachkommenschaft potentiell dunkelhäutig, arm und zahlreich sein könnte. Spaltungspolitik dieser Art funktioniert selbstverständlich nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene, wie die rassistische Hetze gegen AusländerInnen (siehe z.B. Gerhard Schröder) in der BRD ganz klar zeigt. Das Motto lautet leicht verändert "Spalte und herrsche", was z.B. in dem vielfältig verwendeten "wir in Europa", "uns" und die Anderen deutlich wird. Als gäbe es eine natürliche rassistische bzw. nationalistische europäische Interessenidentität aller EuropäerInnen. Wenn "wir" bedroht werden, dann wohl eher durch das Management von Mercedes und anderen und die in die Gottesposition gerückte freie kapitalistische Marktwirtschaft als durch "die InderInnen", "die ChinesInnen", usw..

 

Der planende Mensch und das zu beherrschende Objekt haben dabei ein Geschlecht und eine Rasse und vor allem eine Schichtzugehörigkeit. Überwiegend männliche Planer und wenige Planerinnen, überwiegend Weiße und auf jeden Fall Angehörige der Oberschicht definieren das sinnvolle Gebärverhalten von Frauen vor allem im Trikont. Die Bevölkerungspolitik rekurriert nach wie vor auf die malthusianischen Thesen der gefährlichen Vermehrung der Armen und auf das sexistische Zugriffsrecht des Mannes auf die Frau. Dies gilt nach wie vor, auch wenn in der modernen Variante auf die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung der Frauen rekurriert wird, da es nur darum geht, die eigene kapitalistische Vernutzung unter immer restriktiveren Bedingungen optimal nun selbst organisieren zu müssen. Auf diese Modernisierung der Herrschaftsverhältnisses werden wir im folgenden etwas genauer eingehen.

Grundsätzlich gilt für uns aber, eine emanzipatorische Adaption der Bevölkerungspolitik halten wir für ausgeschlossen. Wer dieses Gesellschaftssystem mit den entsprechenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen für richtig oder notwendig hält, muß allerdings die Bevölkerungspolitik als sinnvoll erachten, da jene das System stabilisiert und Teil globaler Modernisierungsprozesse des Kapitalismus ist.

Die Bevölkerungspolitische Rhetorik ist von ihren Grundannahmen her rassistisch, sexistisch, sozialrassistisch und fordert den Genozid. Dies gilt auch für die öffentliche Rhetorik in den 90er Jahren, was wir im folgenden in Ansätzen ausführen werden.

 

 

Bevölkerungspolitik als Modernisierung der Reproduktion

 

Das, was häufig als Randökonomie, als das Andere der Global-City ausgegrenzt wird, ist bei genauerer Betrachtung der diese High-Tech-Kathedralen reproduzierende Bereich, sei es über die Zurverfügungstellung von billigen Rohstoffen, billigen Arbeitskräften mit hoher und niedriger Qualifikation oder durch die, die High-Tech-City versorgenden Dienstleistungsunternehmen. Eine(r) muß halt nachts die Bankzentrale wischen, dem /der BankerIn sein/ihr Chop Suey kochen, die Ökolebensmittel für die Mittelschicht halbwegs billig produzieren, die Kinder großziehen und die Ausbildung finanzieren, da die Industrie dies vernachlässigt, usw.. Die Industrie der Zentren lebt von der Peripherie.

Der reproduktive Bereich, insbesondere auch der Umgang mit Kindern, Mutterschaft u.a. sind ebenso kapitalistisch überformt wie andere Lebensbereiche auch. Mutterschaft selbst, wie wir sie kennen, ist ein Produkt der Neuzeit (seit der französischen Revolution). In diesem Sinn ist dieser reproduktive Bereich ein zentrales Segment des kapitalistischen Wirtschaftens. Auf der Basis der Ausbeutung der unentlohnten Hausarbeit basiert eine wesentliche Quelle des Mehrwerts, der im Industriebereich erwirtschaftet wird.

Ausgehend von diesen Thesen ist der reproduktive Bereich also eine Ausgangsbasis kapitalistischer Produktion. Das heißt für die KapitalistInnen ist eine Organisation des reproduktiven Bereichs entsprechend ihren Bedürfnissen eine zentrale Notwendigkeit, um die eigenen Profite auszuweiten. Wir begreifen die moderne Variante der Bevölkerungspolitik als eine Modernisierungspolitik dieses reproduktiven Sektors, um die reproduktive Infrastruktur für die Weltmarktproduktion zu schaffen.

Die Verbindung bevölkerungspolitischer Maßnahmen mit einkommensschaffenden für Frauen (z.B. durch die Weltbank) ist nicht einer emanzipatorischen Freundlichkeit geschuldet. Da der reproduktive Sektor des Weltmarktstandortes nicht nur Kinder, sondern auch Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen hat, und außerdem die Ausbildung dieser Kinder nun zusätzlich übernehmen soll, ist es nur logisch, die Frauen diese Dienstleistungen als billige Zusatzarbeit erledigen zu lassen und sie außerdem dazu zu bringen, das so erwirtschaftete Geld und einen weiteren Teil ihrer Zeit wiederum für die ausgelagerten Produktionskostenkosten (Ausbildung der Arbeitskräfte/Kinder und in einigen Ländern auch die Dienstleitungsinfrastruktur) aufzuwenden. Auf diese Weise spart die Wirtschaft doppelt. Geleistet kann dies von den Frauen nur werden, wenn sie für die industrielle Zuarbeits-Dienstleistung zumindest teilweise von der Gebärpflicht freigestellt werden. Mami hat nun zwei Kinder und verdient etwas hinzu, da Papis Gehalt ja auch nicht mehr sicher ist. Diese Strukturen lassen sich nicht nur in Ländern des Trikont finden.

 

Dieser Entwicklung entspricht eine Modernisierung der bevölkerungspolitischen Rhetorik und der Methoden der Durchsetzung bevölkerungspolitischer Maßnahmen.

 

Hieß es noch 1971 bei Paul Ehrlich dem "Vater" der Bevölkerungsrhetorik in der BRD; 'Krebs ist ein hemmungsloses Vermehren von Zellen, die Bevölkerungsexplosion ist ein hemmungsloses Vermehren von Menschen. Behandelt man nur die Symptome der Krebserkrankung, wird sich der Kranke zuerst vielleicht besser fühlen, unter Umständen jedoch sterben, oft unter unerträglichen Schmerzen. Ein ähnliches Schicksal hat die Welt von der Bevölkerungsexplosion zu erwarten, wenn nur deren Symptome behandelt werden. Wir müssen uns umstellen und versuchen, die Krebsgeschwulst zu entfernen, statt die Symptome zu behandeln.'; so äußert sich der Mainstream der Bevölkerungstechnokratie heute inhaltlich zwar ähnlich rhetorisch aber in Watte gepackt; 'Immer mehr Menschen erkennen die Auswirkungen, die ein rasantes Wachstum der Weltbevölkerung mit sich bringt: Verschärfung von Unterernährung, Armut, Umweltzerstörung und eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Ländern.' [Erhard Schreiber, 1. Vorsitzender der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung - Vorwort Jahresbericht 1997]

Die wesentliche Änderung in der Bevölkerungspolitik ist nicht eine Veränderung der Sichtweise sondern eine Veränderung in der Art und Weise wie die "Seuche", Fruchtbarkeit (der Frauen im Trikont), bekämpft wird.

Die politischen LobbyistInnen einer antinatalistischen Politik haben im Zeichen von AIDS begriffen, daß eine "Seuche" nicht durch Zwangsmaßnahmen zu bekämpfen ist, sondern durch eine Disziplinierung der Körper und ihrer Lüste, eine Veränderung des Hygieneverhaltens. Dementsprechend geht es in den neueren Programmen der BevölkerungsplanerInnen nicht mehr primär um Zwang (z.B. Zwangssterilisationen) sondern um die Internalisierung der Familienplanungsideologie durch die Frauen. Selbstverständlich wird dabei das technokratische Planungs- und Funktionsstreben westlichen Modells ohne jegliches Hinterfragen auf die gesamte Menschheit projiziert - zum Wohle des Patriarchats, das somit technokratisch modernisiert wird.

Mit der Formel "frei und verantwortlich" wird dabei vor allem die Verantwortlichkeit der Frauen für die Zukunft, sei es die ökologisch globale oder die des regionalen Wirtschaftstandortes, oder die für die Ausbildung der Kinder, betont. So wurde mit dieser Formel die feministischen Forderungen gegen sich selbst gewendet und gleichzeitig instrumentalisiert. Deutlich wurde dies insbesondere auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo. So heißt es in der Kritik von Christa Wichterich bezogen auf die Weltbevölkerungskonferenz; Der (un)heimliche Sieger von Kairo ist das Bevölkerungsestablishment. 'Es konnte sich weitgehend im Hintergrund halten, denn die Frauenlobby übernahm einen Teil seiner Arbeit: Mit dem Reformkonzept der reproduktiven Rechte verschaffte sie der Bevölkerungspolitik ein phantastisches Facelifting und eine Legitimation. (..) Grundsatzkritik an diesem Konzept wurde in Kairo nur noch vereinzelt geäußert und ging im Chor der Apologeten unter.' [1]

Ein noch heimlicherer Gewinner sind die Regierungen des Nordens; durch die Fixierung auf Bevölkerungskontrollpolitik werden imperialistische Ausbeutungsverhältnisse zu deren Profiteuren sie gehören, exzessiver Ressourcenverbrauch und Konsum nur noch am Rande als auch existente Probleme benannt. 'Durch die Ökologisierung [und Ökonomisierung] des Problems wird das Recht auf Geburtenkontrolle zu einer Pflicht zur Geburtenkontrolle, zu einer ökologischen Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit und unserem Planeten [und zur ökonomischen Verantwortung für den Wirtschaftsstandort und die zukünftige Bereitstellung eines gut ausgebildeten Arbeitkräftereservoirs, der Kinder]. Jede Frau, die mehr als die Norm-Kinder-Zahl von zwei zur Welt bringt, erscheint als verantwortungslos. (..) Die normative Kraft des Technischen ist beständig am Werke. Zivilisationstheoretiker nennen dies den Ersatz von Fremdzwängen durch Selbstzwänge.' [2]

Ausgegangen wird dabei von einem soziobiologischen Menschenbild, das Frauen primär auf ihre Gebärfähigkeit reduziert, auf Mutterschaft als quasi natürliche Entwicklung, und dem heterosexistischen Stereotyp der Kleinfamilie als Vorbild[3], gleichzeitig wird aber mit der Medizinalisierung und den Metaphern das Bild der verschlingenden Frau, der potentiell gefährlichen sexualisierten Frau und Mutter, die der medizinischen und sozialen (Selbst)Disziplinierung bedarf, erzeugt. Das Konstrukt der (Selbst)definition von Frauen primär über das biologische Faktum ihrer Gebärfähigkeit ist dabei Ausgangspunkt eben dieser Ideologie, da es die Reduktion von Frauen auf Biologie und Natur, die kontrolliert werden muß, bereits beinhaltet. Dem entspricht das Bild des Mannes als Menschenmännchen mit quasi natürlicher Territorialkonkurrenz[4] und den EuröpäerInnen und US-AmerikanerInnen, insbesondere den Männern, die ihren Frauen die Verhütung gestatten, als TrägerInnen "der Zivilisation".[5]

Die bevölkerungspolitischen Programme sind an eine bestimmte Organisationsform der generativen Reproduktion gebunden, wie dem Programmtitel "Familienplanung" unschwer zu entnehmen ist. Sie streben 'mit dem Konzept "Small family, happy family" nicht nur die Verringerung der Kinderzahl auf eine sogenannte "Nettoreproduktionsrate" (eine Frau ersetzt sich selbst durch eine Tochter) an; sie zielen zugleich auf eine Durchsetzung des westlichen Modells der Kleinfamilie. Andere Haushalts- und Verwandtschaftsstrukturen sind nicht vorgesehen. Eine Vielzahl von Projektionen und Verhaltensanforderungen sind an diese "happy family" gekoppelt: Die bevölkerungspolitische Propaganda verbindet das Kleinfamilienmodell mit dem Versprechen von Konsummöglichkeiten, mit einem westlichen Ideal von Liebesbeziehungen, mit einer Vorstellung von Sexualität als "natürlichem" heterosexuellen Geschlechtsverkehr (vgl. Keysers/Smyth 1989), der durch die Techniken der Verhütung nicht beeinträchtigt werden soll, mit "qualitativer Mutterschaft", also der Anforderung an einen möglichst "gesunden" und leistungsfähigen statt zahlreichen Nachwuchs etc..' [6]

Die Frauen sind dabei auch in aktuellen Darstellungen der Bevölkerungskontrolleure nicht nur Opfer der besonderen patriarchalen Verhältnisse in ihren Ländern, sondern auch Opfer ihrer Gebärfähigkeit. Die Darstellungsmethoden mit ihren Verbreitungscharakteristika, exponentiellen Wachstumskurven und medizinischen und sozialwissenschaftlichen Erklärungsmodellen[7] konstituieren wiederum das Bild des Bevölkerungswachstums als Seuchendiskurs.

Die Darstellung des Bevölkerungswachstums und der Frauengesundheit verkoppelt mit den Thema AIDS in vielfältigen Statistiken, Fertilitäts- und Mortalitätsraten bedürfen der expliziten Benennung der Fruchtbarkeit der Frauen als Krankheit nicht mehr, um eben diesen Diskurs zu transportieren. Dem entspricht die Lösungssuche im Bereich der Medizintechnologien, der Gentechnik; am deutlichsten vielleicht in der (Wort)schöpfung des 'Antischwangerschaftsimpfstoffes'.[8]

Die verwendeten Metaphern sprechen eine nach wie vor deutliche sexistische und rassistische Sprache und verknüpfen den so sachlich wirkenden Diskurs mit den alten sexistischen und rassistischen Stereotypen. '"Menschliche Sprengsätze" ticken, "Zeitbomben" werden gezündet, Bevölkerungen "explodieren", "demographische Raketen" gehen hoch, "Millionengeschwader" rücken an. Neben militaristischer Diktion erfreut sich das In-Szene-Setzen von Naturkatastrophen großer medialer Beliebtheit und Wirksamkeit, um eine Gefahr aus dem Süden zu beschwören. Begriffe wie "Flutwelle", "Menschenlawine", "Springflut" von Flüchtlingen oder die "Wucht der Bevölkerungswoge naturalisieren die Menschen im Süden zur nichtvergesellschafteten Masse Mensch, zu unkontrollierter Biomasse, zur Naturkatastrophe, die auf den Norden zurollt.[9]

Die verwendeten Metaphern sind nicht geschlechtsneutral. Sie greifen in der psychischen Sozialisation des bürgerlichen Subjekts verankerte Ängste und unbewußte Phantasien auf, rekurieren auf die Gefahr des Ichverlustes des Subjektes, auf das Überflutetwerden, Grenzüberschreitungen, Landesgrenzen, Grenzen der Gewohnheiten, Grenzen des Anstandes, Körpergrenzen, bzw. auf das Zerstückeltwerden, eine andere Form der Ichauflösung.[10]

Diese Gefahr des Ichverlustes ist in der bürgerlichen männlichen Sozialisation in der BRD aufs engste verknüpft mit der Konstruktion der männlichen sexuellen Identität, den über sie stattfindenden Ausgrenzungen des Anderen und ihrer Projektion auf das andere Geschlecht, Frauen. Die Angst vor dem Ichverlust, vor dem Überflutetwerden durch das Andere, dem Verschlungenwerden ist nicht zu trennen von Sexualängsten und mit ihnen einhergehenden Kontrollzwängen und Disziplinierungen der potentiell bedrohlichen weiblichen Sexualität.

Das heißt, Sexismus und Rassismus, die Kontrolle des Anderen und der weiblichen Sexualität, schneiden sich in der bevölkerungspolitischen Kontrolle der Zeugungsfähigkeit der Frauen im Trikont, der anderen Frau, ihres Körpers. Die bevölkerungspolitischen Metaphern gewinnen eben aus dieser Doppeldeutigkeit, die sich im Zielpunkt bevölkerungstechnokratischer Machtausübung, der Kontrolle der Körper von, der Zeugungsfähigkeit von Frauen im Trikont, wiederfindet, ihre Wirksamkeit. Insofern ist es durchaus auch kein Zufall, daß sich Bevölkerungskontrollpolitik fast ausschließlich als Kontrolle der Zeugungsfähigkeit von Frauen konstituiert und Männer praktisch nicht betrifft. Auch dies nur eine Fortführung westlicher patriarchaler Reproduktionsbedingungen: obwohl die Sterilisation von Männern einen wesentlich weniger gefährlichen medizinischen Eingriff darstellt, lassen sich weltweit erheblich mehr Frauen als Männer sterilisieren.

Bevölkerungskontrollpolitik und männliche Machtausübung zur Kontrolle von Frauen mittels ihres Körpers, und damit auch die Konstitution des Geschlechts überhaupt, sind nicht voneinander zu trennen.

Auch in der konkreten politischen Praxis zeigen sich diese Verknüpfungen imperialistischer Interessen mit sexistischen und rassistischen Praktiken. Die von den BevölkerungstechnologInnen massiv forcierte Entwicklung von Langzeit- oder Dauerverhütungsmitteln wie der 'Antischwangerschaftsimpfung' und Hormonimplantaten vergegenständlichen den Zwang und entziehen den Frauen insbesondere im Trikont zunehmend die Selbstbestimmung in Bezug auf die eigene Fruchtbarkeit. Die Doppelmoral, mit der Frauen im Trikont und MigrantInnen zur Geburtenkontrolle und zur Abtreibung gedrängt werden, und gleichzeitig gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsrechtes polemisiert wird[11], weist auf den rassistischen Grundgehalt dieser Politik , die auch weiterhin zwischen wertem, weißen Kindern in Europa und den USA, und unwertem Leben, Kindern im Trikont und sozial deklassierter Schichten, differenziert.

 

Legitimiert und getragen wird dieser Diskurs in nicht unerheblichen Maße von NRO (Nicht-Regierungs-Organisationen) neuen Typs. Damit sind Organisationen gemeint, die primär aus einem kleinen Kern professioneller PolitlobbyistInnen bestehen, die Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse nicht in Frage stellen und Probleme über eine Verbesserung der Kommunikation bei gleichzeitiger Arbeitsplatzbeschaffung für sich selbst zu lösen behaupten. Da diese Organisationen abhängig sind von öffentlichen Geldmitteln, bzw. anderen GeldgeberInnen, mutieren sie immer mehr zu alternativen Dienstleistungsunternehmen zur Produktion politischer Legitimität und der Einbindung von Opposition.[12] Ergänzt wird diese Entwicklung durch NRO, die direkt von der Industrie neu gegründet werden und über hervorragende Kontakte zu Politik und Presse verfügen, ein Beispiel dafür ist die DSW, die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung in Hannover, die sich gerade auf die EXPO 2000 vorbereitet. Als quasi "objektive", da "interessenungebundene", Sachwalter, können sie mit einem großen öffentlichen Vertrauensbonus operieren. Sie werden damit zu Türöffnern für eine Instrumentalisierung herrschaftskritischer Diskurse für ganz andere Zwecke. Ein Beispiel hierfür ist die Nutzung ökologischer Krisenszenarien für die Legitimation bevölkerungspolitischer Maßnahmen.[13]

Diese NRO arbeiten darüber hinaus mit dem populistischen Image der Propaganda der Tat; so heißt es bei der DSW, daß man genug vom Reden und Diskutieren habe und jetzt Handlung notwendig sei. Das Ergebnis: - Wir haben nun so viel für sie getan; wenn es ihnen immer noch nicht besser geht, haben sie wirklich selber schuld, sie haben ja wirklich alle Chancen gehabt - . Zu verstehen ist dabei "unter allen Möglichkeiten" wohl die Möglichkeit, sich mit Basteleien etwas hinzuverdienen zu können.

 

Eine Politik des Empowerment, die wirklich den Frauen dient, müßte ihnen eigenständige Lebensmöglichkeiten eröffnen.

Ein Ansatz könnte die Förderung von Strukturen sein, die ein weltmarktunabhängiges Leben ermöglichen, also insbesondere nicht zum reproduktiven Segment der Weltmarktproduktion gehören. Keine Subsistenzproduktionen, mit denen Frauen durch Zusatzarbeit das zur eigenen Reproduktion nicht hinreichende Gehalt aufbessern.

Weltmarktimmanent (dies ist nicht unser Ansatz, aber die reformistischen Ansätze sind, und dies wollen wir hiermit sagen, nicht einmal in sich schlüssig) müßten einkommensschaffende Maßnahmen gefordert werden, die ausreichend hohe Einkommen gewährleisten, um eine Familie zu ernähren (eine sicherlich in keiner Weise umsetzbare Forderung). Mit Weltbankkrediten aufgebaute Dienstleistungssubunternehmungen, mit denen Frauen als Zuverdienst das Familieneinkommen aufbessern können, sind ziemlich genau das Umgekehrte.

 

Eine vertretbare Form von Bevölkerungspolitik gibt es aufgrund der rassistischen und sexistischen Grundlagen jedes bevölkerungspolitischen Ansatzes für uns nicht, wir lehnen jede Politik dieses Inhaltes, sei sie pro- oder antinatalistisch, ab. Unabhängig davon ist Menschen das Wissen über Sexualität einschließlich verschiedenster 'Verhütungs'methoden und die Möglichkeit zugänglich zu machen.

 

Die hier dargestellten Thesen wurden von uns entwickelt für den Kongreß 'Nachhaltige Weltbilder - Hinter den Kulissen nachhaltiger Entwicklung' - Hannover 1998.

 



Texte zur Kritik der Bevölkerungspolitik und -technologie - J.Djuren


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[1][Christa Wichterich - "Postfeministische Politik bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo" - aus: beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr 38 Köln 1994]

[2][Christa Wichterich - ""Frei und verantwortlich" Geburtenkontrolle, Reproduktionstechnologie und Bevölkerungspolitik zwischen Zwang und Freiwilligkeit" - aus: Beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr 37 Köln 1994]

[3]'Die Konferenz [Weltbevölkerungskonferenz Kairo] konzentriert sich auf die quantitative , antinatalistische Seite von Bevölkerungspolitik und die Länder des Südens. Sie dient der Universalisierung der Zwei-Kind-Norm-Familie' [Christa Wichterich - ""Frei und verantwortlich" Geburtenkontrolle, Reproduktionstechnologie und Bevölkerungspolitik zwischen Zwang und Freiwilligkeit" - aus: Beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr 37 Köln 1994]

[4][Irenäus Eibl Eibesfeld - "Fremdenfurcht und Ausgrenzung" - aus: Süddeutsche Zeitung 7.2.92]

[5][Ingo Loose - "Eine feste Burg .." - DISS-Texte Nr. 26 Duisburg 1993]

[6][Susanne Schulz - "Feministische Bevölkerungspolitik?" - aus: unbekannt]

[7]siehe z.B. [DSW u. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. - "Weltbevölkerung und Entwicklung" - Bonn/Hannover 1993/1994] - [DSW (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung) - 'Hoffnungen und Realitäten - Zur Überwindung der Kluft zwischen Vorstellungen und Erfahrungen der Frauen auf dem Gebiet der Fortpflanzung' - Hannover 1995]

[8][Ingrid Schneider - "Imun gegen Schwangerschaft" - E.coli-bri Nr.8 Hamburg 1992] Der selbe Diskurs der potentiell verschlingenden Mutter, der Schwangerschaft als Krankheit, findet sich auch in der zunehmenden Medizinalisierung, insbesondere auch durch die Gentechnologie, der Schwangerschaft in Europa. In diesem Sinn widerspricht sich das Engagement eines Franz Alt gegen die Liberalisierung der Abtreibung auch nicht mit seinem Engagement für eine Bevölkerungskontrollpolitik unter dem Stichwort - Ökologischer Marschallplan (siehe Fußnote 19)

[9][Christa Wichterich - ""Frei und verantwortlich" Geburtenkontrolle, Reproduktionstechnologie und Bevölkerungspolitik zwischen Zwang und Freiwilligkeit" - aus: Beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr 37 Köln 1994]

[10][Eva Engelhardt - "Fluten und bedrohliche Explosionen" - aus: blätter des iz3w Nr 197/1994]

[11]So tritt zum Beispiel Franz Alt, der als Moderator des ARD-Magazins mit Großaufnahmen von Embryonen gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsrechtes polemisierte, in der Initiative "Ökologischer Marschallplan" unter anderen für die Durchführung von Bevölkerungskontrollprogrammen an. Zielpunkt ist dabei die Bevölkerungsbegrenzung im Trikont. [blätter des iz3w Nr 197/1994 Seite 51]

[12][Rolf Schröder - "Coaching für Raubmörder" - Konkret 4/96]

[13][Ulli Kulke - "Wer bremst die Menschheit?" - Wochenpost Nr 2/Berlin 1994]



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Impressum: Paula & Karla Irrliche

















Zuletzt aktualisiert 30.10.14





Bevölkerungspolitik, Nachhaltigkeit. 'Thesen zur Modernisierung der Bevölkerungspolitik oder wer kocht dem Banker sein Chop Suey?' Ein Text zur Kritik der Nachhaltigkeitsideologie geschrieben für den Kongress Nachhaltige Weltbilder Hinter den Kulissen Nachhaltiger Entwicklung - Stichworte: nachhaltig empowerment IWF Weltbank