J.Djuren


Die Europäische Union und der Tod des bürgerlichen Subjektes


Der moderne Nationalstaat kann auf einer bestimmten Ebene begriffen werden als Zusammenschluß der wirtschaftlichen Subjekte, der Bürger. Dies wird vor allem deutlich in der Geschichte des Nationalstaates. Der Bürger war ursprünglich der weiße, männliche Besitzbürger. Die Rechtsprechung war darauf gerichtet Formen des Interessenausgleiches zwischen diesen Besitzbürgern herzustellen und ihre gemeinsamen Interessen zu sichern (gegen Nicht Besitzende, Frauen, AusländerInnen, usw.). Die sukzessive Ausweitung dieses Begriffs auf immer mehr Menschen mußte und muß nach wie vor erkämpft werden (Abschaffung des Mehrklassenwahlrechts, Frauenwahlrecht, Antidiskriminierungsgesetze, usw.). Gleichzeitig war und ist dieser Staat aber auch wesentlich beteiligt an der Produktion des bürgerlichen Subjektes und des Ausschlusses und der Unterdrückung von abweichem Verhalten (Schulsystem, Militär - als Schule der Nation -, Bevölkerungspolitik, Sexualpolitik, Gesundheitspolitik, Überwachung und Repression, Hartz IV, usw.).
Staat und bürgerliches Subjekt stehen in einem wechselseitigem Abhängigkeitsverhältnis. Im Zentrum des bürgerlichen Gesetzbuches steht der Bürger (der immer noch überwiegend männlich und besitzend gedacht wird).

Die Europäische Union ist entstanden als Wirtschaftsgemeinschaft. Das gesamte Rechtssystem der EU hat sich entwickelt aus dem Bedarf rechtliche Vermittlungsinstanzen zwischen konkurrierenden nationalen und transsnationalen Konzernen zu schaffen, um auf dieser Basis einen gemeinsamen Wirtschaftsraum ohne Wirtschaftsgrenzen zu errichten. Die Subjekte der EU-Gesetzgebung sind Konzerne und andere wirtschaftlich-juristische 'Subjekte' (z.B. regionale politische Vertretungen), diese Subjekte bestimmen die Politik der EU. Die EU-Technokratie behandelt sie als die eigentlichen demokratischen Subjekte nicht die BürgerInnen. Wenn von Freiheit die Rede ist, dann ist damit die Freiheit des UnternehmerInnentums gemeint, der freie Warenverkehr, der freie Zugriff auf die optimal ausbeutbaren und billigsten Arbeitskräfte (ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit) und die Freiheit Produktionsstandorte beliebig gegeneinander aus zuspielen (Dienstleistungs- und Ansiedlungsfreiheit).[1] Entsprechend ist der Schutz dieser Subjekte, also der Konzerne, ein zentraler Punkt von Recht- und Rechtsetzungspraxis der EU, der Schutz der Konzerne vor den BürgerInnen und ihren Ansprüchen.[2] Dieser an Konzerninteressen orientierte Freiheitsbegriffs durchzieht auch den Text der EU-Charta der Grundrechte und der Verträge von Lissabon (umbenannte EU-Verfassungsverträge). Menschen sind keine Subjekte der EU-Gesetzgebung, sie sind Objekte dieser Gesetzgebung. Die EU hat in ihrer Rechtsetzungspraxis den, im Kulturteil konservativer Zeitungen beschworenen, Tod des bürgerlichen Subjektes längst auf sehr drastische und konkrete Art und Weise vollzogen.
Diese These mag einigen zu zugespitzt erscheinen, um sie zu belegen, will ich auf zwei Themen eingehen;
- Die EU-Nomenklatura
- Entscheidungsfindungsprozesse in der EU
Das heißt, ich werde mich auf die empirische Realität der EU beziehen, z.B. wissenschaftliche Untersuchung zu den Einstellungen der MitarbeiterInnen der EU-Kommission und konkreten Berichten zu Entscheidungsprozessen und ihrem Zustandekommen.
Auf die Verträge von Lissabon gehe ich hier nicht noch einmal ein, dazu gab es bereits Artikel in der graswurzelrevolution. Doch die dort geäußerte Kritik (Militarismus, Neoliberalismus) wird an Gesichts der hier beschriebenen EU-Realitäten um so brisanter. Die reale Funktionsweise und das Selbstverständnis der EU-Technokratie läßt nur die Erwartung zu, daß die schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen werden.

Auch aus anarchistischer Sicht ist es wichtig Herrschaft zu verstehen, ihre unterschiedlichen Positionierungen, die unterschiedlichen Funktionen von Strukturen zu begreifen, um sie abzuschaffen.


Die EU-Nomenklatura


Die wesentlichen Entscheidungen, das heißt die alltägliche Arbeit der Ausgestaltung von Gesetzen, Normen usw. findet in der EU-Kommission statt und zum Teil durch die Auslegungspraxis des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Die EU-Kommission ist der 'Regierungsapparat' der EU. Mit dem Begriff EU-Nomenklatura werden hier im folgenden die inhaltlich arbeitenden MitarbeiterInnen der EU-Kommission und des EuGH bezeichnet.
Um zu begreifen, wie diese EU-Nomenklatura denkt, ist es notwendig sich Herkunft, Struktur und Alltag dieser technokratischen EU-'Elite' vor Augen zu führen, und zu begreifen, wie spezifische Strukturen der Ausbildung, Rekrutierung und der Arbeitsverhältnisse der EU-Nomenklatura zur (Re)Produktion eines Selbstverständnisses führen, daß die Interessen der Konzerne zum Allgemeininteresse erklärt.

Die EU-BürokratInnen begreifen sich, laut empirischen Untersuchungen[3], apolitisch und primär als Fachleute, die für die objektiv 'besten' Lösungen eintreten, unabhängig von politischen Erwägungen. Dies ist für BeamtInnen, die direkt politischen Entscheidungsfindungsprozessen zuarbeiten, natürlich absurd, ist doch jede Einschätzung wesentlich von politischen Vorannahmen bestimmt.
Untersuchungen zeigen, daß die EU-Nomenklatura erheblich asozialer und militaristischer eingestellt ist als die EU-Bevölkerung. So fordern über 62% der EU-BürgerInnen mehr Anstrengungen der EU um die soziale Gerechtigkeit (social inclusion) innerhalb der EU zu stärken. Die Nomenklatura lehnt dies mehrheitlich ab, weniger als 30% stimmen einer solchen Forderung zu. Gleichzeitig fordern fast 70% dieser EU-'Eliten' eine Ausweitung der EU Militärpolitik im Gegensatz zu 43,6% der Bevölkerung. Diese Unterschiede ziehen sich durch fast alle Bereiche. Die EU-Nomenklatura agiert nicht als demokratische VetreterIn der EU-Bevölkerung. Sie stimmt in ihren Politikoptionen aber im hohen Maß mit den Forderungen konzernnaher Lobbyinstitutionen überein. Offensichtlich sind diese die Subjekte, denen sich die EU-TechnokratInnen verpflichtet fühlen.
Da sich viele BeamtInnen des Bruchs ihrer Anschauungen mit der Mehrheit der BürgerInnen der EU bewußt sind, fordern sie konsequenter Weise, politische Entscheidungen noch weiter zu entdemokratisieren und in Fachgremien zu verlagern, daß heißt ein Mehr an eigener Entscheidungskompetenz und einen stärkeren Abschluß der EU-Kommission gegen äußere Einflüsse. Auch eine politische Streitkultur, die Basis jeder Demokratie, wird zu Gunsten eines simulierten Fachkonsens abgelehnt.[4]
Besonders bedenklich ist auch der Korpsgeist, der aus vielen Antworten spricht. Die EU-BeamtInnen begreifen sich selbst als elitäre, solidarische Gemeinschaft. Die Aussagen erinnern an das Selbstverständnis von Militäreinheiten oder eines Polizeichors. Die EU-BeamtInnenschaft funktioniert zum Teil als totalitäre geschlossene Institution. Zentraler Bezugspunkt sind andere EU-BeamtInnen. Dies wird auch durch das harte Auswahlverfahren, starke Hierarchien mit massivem Druck und durch die soziale Isolierung der BeamtInnen in Brüssel bedingt.

Ein Großteil der Personals der EU-Bürokratie stammt von 'Elite'-Ausbildungseinrichtungen in Europa (LSE - London School of Economics -, Collége d'Europe, u.a.). Dadurch wird bereits vorab ein hohes Maß an herrschaftsaffirmativer Stromlinienförmigkeit durch die Ausbildung sichergestellt. Nach wie vor wird hier dem Mythos der technokratischen Fachkompetenz gehuldigt. Die hier Ausgebildeten verstehen sich nicht als AuftragnehmerInnen der Gesellschaft, nicht als Ausführende demokratischer politischer Entscheidungsprozesse, und sie verstehen ihre Arbeit nicht als Teil demokratischer Prozesse, sondern sie imaginieren sich als technokratische Führungs'elite'. Der politische Streit als Basis demokratischer Entscheidungen wird durch einen technokratischen Totalitarismus der Wissenden ersetzt.
Dies gilt insbesondere für die Ausbildung an dem spezifisch als Ausbildungsinstitution für den Nachwuchs der EU-Nomenklatura geschaffenen Collége d'Europe. In einer von extremen Konkurrenzdruck geprägten verschulten Ausbildung werden hier 'ExpertInnen' produziert.[5] Konkurrenzdruck steht auch hier für Gleichschaltung. Wie im Sport (z.B. Formel 1, Radrennen, usw.) ist die Gleichschaltung (bis zur Form der Fahrgestells) auch hier die Voraussetzung um Vergleichbarkeit zu erreichen und die Selbstgleichschaltung damit Vorraussetzung um an der Konkurrenz teilnehmen zu dürfen.
Dem gegenüber müßte eine Bildungsinstitution, die Freiheit, Intellektualität, Individualität und Kreativität und damit ein demokratisches Selbstverständnis fördern wollte, gerade ein freiheitlich interessiertes nicht konkurrentes Umfeld schaffen, da auf Grund der Unvergleichbarkeit der individuellen Leistungen ein konkurrentes System absurd würde und Konkurrenz individuelles Ausprobieren, 'Umwege', abwürgt.
Die Gleichschaltung am Collége d'Europe und vergleichbaren 'Elite-Einrichtungen reicht bis in die private Lebensführung und ist Teil eines Produktionsprozesses einer europäischen 'Elite'. Hier lernen die TechnokratInnen von Morgen zu funktionieren, hier wird ihnen der Habitus der europäischen Nomenklatura angeeignet (das heißt sie eignen sich ihn an und ihnen bleibt keine Wahl wollen sie den 'Erfolg'). Vergleichbar militärischen Ausbildungen geht es um die Formierung der Subjekte.

Die eigentliche politische Selektion von BewerberInnen mit der 'richtigen' neoliberalen Grundeinstellung erfolgt dann über den Concours. Der Concours ist das Auswahlverfahren des Europäischen Amtes für Personalauswahl für die Besetzung von Reservelisten für unbefristete Mitarbeiter bei den Institutionen der Europäischen Union (Nur wer auf der Reserveliste steht, darf sich bei der EU bewerben). Hier wird die 'politische Zuverlässigkeit' der zukünftigen potentiellen MitarbeiterInnen auf Herz und Nieren getestet. Das Verfahren wurde aus Frankreich übernommen, wo es seit langen das reibungslose Zusammenspiel von Technokratie und Kapital garantiert.
Der Concours besteht aus 3 hintereinander geschalteten Auswahlverfahren, zuerst einem Multiple-Choice-Test, dann einem schriftlichem Test und zum Abschluß einer mündlichen Prüfung. Danach sind die ca. 1% Übriggebliebenen berechtigt sich auf eine Stelle bei der EU zu bewerben.
Dabei ist vor allem der schriftliche Test nicht nur Fach- sondern auch Gesinnungsprüfung. Hier wird z.B. erwartet, dass PrüfungsteilnehmerInnen Strategien zum Absenken der Arbeitslosigkeit, die Agrarpolitik der EU, die Energiepolitik, spezifische Felder der EU-Außenpolitik, u.a. erläutern und bewerten.[6] Diese Fragestellungen dienen ganz offensichtlich auch der politischen Bewertung der BewerberInnen. Dadurch ist der Concours ein zentrales Instrument zum Abschluß der EU-Kommission gegenüber demokratischen 'Zumutungen'.
Im Gegensatz zu Verwaltungen in denen zumindest der Parteienproporz in etwa abgebildet wird und damit auch zumindest eine kleine Chance besteht, daß ein Minimum an widersprüchlichen und kritischen Meinungen repräsentiert wird, kommt es auf Ebene der EU-Kommission zu einer weitestgehenden Gleichschaltung entlang eines scheinobjektiven[7] Sachverstandes, der aber real nichts anderes darstellt, als eine Umbenennung der Interessen der auf EU-Ebene mächtigen Interessengruppen (vor allem Konzerne) in Allgemeininteressen.
Verstärkt wird diese Tendenz noch durch die Nichttrennung von Karriereverläufen in der EU-Technokratie und der internationalen Wirtschaft. Viele Stellen, insbesondere im Bereich des EU-Gerichtshofes sind zeitlich befristet, ein Wechsel aus oder in die Privatwirtschaft ist Alltag. Dies führt dazu, daß die kulturell hegemonialen Vorstellungen innerhalb der Konzernhierarchien und deren Blickwinkel auch die Anschauungen der EU-RichterInnen und Generalanwälte bestimmen. Dabei geht es nicht um den Vorwurf direkter Bestechlichkeit. Diese kommt im Einzelfall sicher vor, viel entscheidender ist aber die Übernahme des Denkens der Wirtschaft.
Z.B. als Miguel Poiares als Generalanwalt der EU sich gegen das VW-Gesetz ausgesprochen hat, hat er das sicher nicht getan, weil er von Porsche gekauft wurde, sondern weil dies für ihn ein Konflikt zwischen zwei Konzernsubjekten war, die es gleichzu behandeln galt. Die ArbeiterInnen waren als Subjekte für ihn inexistent, sie waren nur Objekte. Und so muß er denken, will er sich Karriereoptionen bewahren, und es dürfte außerdem seiner tatsächlichen Überzeugung entsprechen, die alltäglich im Umgang innerhalb der überlappenden EU-Konzern-Zirkel (re)produziert wird. Die klassischen Bereichstrennungen zwischen Verwaltungskarrieren, öffentlichen juristischen Laufbahnen und Wirtschaftskarrieren, die unabdingbar sind für das Funktionieren einer unabhängigen Verwaltung und einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, existieren auf EU-Ebene nicht.

Viele Äußerungen der EU-Nomenklatura gleichen dann auch mehr moderner Managementlyrik als Äußerungen eines politischen Gremiums. Die Managementideologien haben die EU insgesamt unterwandert. Das Effizienz- und Managementdenken ist der Kern antidemokratischer Einstellungen der EU-Technokratie. In diesem Denken sind Menschenrechte und Demokratie der neoliberalen Marktfreiheit und der Effizienz nachgeordnet. Dem entsprechen heute auch große Teile der Rechtsetzungspraxis der EU.


Entscheidungsfindungsprozesse in der EU


Es gibt eine Unzahl an Publikationen zur Korruption und Lobbyismus auf EU-Ebene[8] und einige NGO's[9], die sich allein diesem Thema verschrieben haben. Darum geht es hier nicht. Korruption und illegitimer Lobbyismus sind zwar ein reales Problem auf der Ebene der EU, dies würde aber auch von den Mitgliedern der EU-Nomenklatura nicht bestritten[10] und Kontroll- und Sanktionsmechanismen werden Stück für Stück ausgebaut. Wenn ein einzelner Konzern sich durch Bestechung oder verdeckte Einflußnahme Vorteile gegenüber anderen Konzernen verschafft, wird dies auch von der EU-Nomenklatura als illegitim begriffen.

Kriminelle Korruption existiert zwar auf EU-Ebene, sie ist aber gegenüber den bekannten alltäglichen legalen Querverbindungen zwischen Konzernlobby und EU-Kommission vernachlässigbar. Es gibt eine Vielzahl an Wegen auf denen die neoliberale Ideologie und die Konzerninteressen als hegemoniales Denken ganz legal in der EU-Kommission verankert werden. In Brüssel sind ca. 15.000 bezahlte LobbyistInnen tätig, 70% davon arbeiten direkt oder indirekt für Konzerninteressen, 20% für staatliche Institutionen (Bundesländer, Regionen, Städte, usw. - häufig eng verbunden mit regionalen Konzerninteressen) und ca. 10% für Gewerkschaften, Umweltverbände, Kirchen usw..[11] Auf jede EU-Parlamentarierin / jeden EU-Parlamentarier kommen gleich eine ganze Gruppe LobbyistInnen. Hauptziel ist aber nicht das Parlament sondern die EU-Kommission. Gesetzesentwürfe und Verordnungen werden von den Lobbys bereits in die Mangel genommen und 'überarbeitet' bevor sie überhaupt offiziell im Parlament ankommen.
Die Zugänge der LobbyistInnen zur EU-Technokratie sind vielfältig. Wichtige Lobbyinstitutionen wie der ERT (European Round Table of Industrials - der Lobbyorganisation der multinationalen Konzerne auf EU-Ebene -) haben schon rein räumlich ihre Etablissements in nächster Nähe zu den Schaltzentralen der EU-Kommission eingerichtet.[12] Sie haben einen selbstverständlichen Zugang zu den höchsten Stellen der EU-Technokratie. Andere LobbyistInnen müssen etwas kompliziertere Wege gehen. Die EU-Kommission hat sich mit einem Kranz von 1237 'Expertengruppen' umgeben (Stand 2007, Tendenz wachsend, dazu kommen zusätzlich noch diverse Komitees (ein paar 100) - das heißt; auf jeweils 8 MitarbeiterInnen der EU-Kommission einschließlich der PförtnerInnen usw. kommt eine 'Expertengruppe' -).[13] In vielen dieser 'Expertengruppen' sind konzernnahe WissenschaftlerInnen, direkte LobbyistInnen der Konzerne oder ihre Organisationen stark vertreten oder in leitender Funktion tätig. Auf Grund der personell, im Verhältnis zu den zunehmenden Aufgaben, geringen Personalausstattung der EU-Kommission, haben diese 'Expertengruppen' einen erheblichen Einfluß auf die Ausgestaltung der Gesetzespraxis in der EU. Die Mitglieder haben darüber hinaus einen bevorzugten Zugang zu Informationen und sind als LobbyistInnen dadurch zum Teil eher und ausführlicher über Gesetzesvorhaben informiert als z.B. die Abgeordneten des EU-Parlaments. Dadurch können die Lobbyinstitutionen frühzeitig ihre Vorstellungen im Entwurfsstadium in Gesetzestexte und Verordnungen einschreiben, häufig ohne das dies den später darüber abstimmenden ParlamentarierInnen überhaupt bekannt ist, soweit sie nicht selbst Teil dieser informellen Subkultur aus EU-Technokratie und Konzernen sind.[14] Auf ähnliche Weise arbeiten weitere vielfältige einflußreichere und weniger einflußreiche Lobbyinstitutionen.[15]

Das Denken, daß dabei in der EU-Nomenklatura zum tragen kommt, entspricht einer Äußerung von Klaus Schwab, die er als Konferenzleiter des World Economic Forum in Davos 2008 im Rahmen einer Rede von Bill Gates äußerte, in der er zwei Manager von Nestle und Coca Cola, als Beispiele für Management-Kompetenz zur Lösung der Weltwasserproblematik anpries, da diese sich durch ihre erfolgreiche Tätigkeit für diese Konzerne als Fachleute mit hoher Kompetenz ausgewiesen hätten.
In diesem Denken sind die ManagerInnen, die 'natürlichen' Fachleute auf ihrem Gebiet. Interessengegensätze gibt es in diesem Denken nicht, ist doch in diesem Denken das Wohl der Welt mit dem Wohl der Konzerne identisch (gesetzt).[16]

Brüssel ist für die in der EU-Kommission tätigen TechnokratInnen eine Art Raumschiff, in dem sie sich weitestgehend abgekoppelt von der brüsseler Bevölkerung fast ausschließlich innerhalb der vom neoliberalen Geist und den KonzernvertreterInnen dominierten Subkultur bewegen. Zum Lobbying gehört selbstverständlich auch die Organisation von 'Experten'meetings und hochrangigen Kulturveranstaltungen. Dabei geht es gar nicht immer unbedingt um konkrete Einflußnahme, vieles dient eher der Durchsetzung bestimmter neoliberaler Denkschemata. Das Denken von Technokratie und Industrie wird in Übereinstimmung gebracht.
Nicht Korruption ist das entscheidende Problem, sondern diese Form organisierter struktureller Identität der EU-Nomenklatura mit dem Management internationaler Konzerne, die ganz legal alle Strukturen auf EU-Ebene durchzieht.

J. Djuren - Hannover 2009



Artikel aus der: - graswurzerevolution - Münster - November 2009

Weitere Infos zum Thema EU-Kritik findet Ihr auf: - http://www.3tes-jahrtausend.org/europaeische_union/eu_verfassung.html -



Texte zur Kapitalismuskritik - J.Djuren


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Fußnoten

[1] Die Rechtsetzungspraxis der EU war zuerst (in der EWG) eine zur Regulierung der Monopole entwickelte und auf den freien Warenverkehr zielende Rechtspraxis. Dieser Ursprung der EU-Rechts aus dem Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht wirkt bis heute fort in der neoliberalen Ausrichtung an Konzerninteressen und dem Dogma des 'freien Marktes'.

[2] Dies wird im Text der Verträge, vor allem aber in der auslegenden Rechtssprechung des EU-Gerichtshofes deutlich: Europa-Recht gegen Arbeiterinteressen. Eine kritische Analyse der EU-Rechtsetzung - Armin Kammrad - Internetpublikation: http://labournet.de - 27.1.2008 - http://www.labournet.de/diskussion/eu/sopo/kammrad.pdf -

[3] Europe Divided? Elites versus Public Opinon on European Integration - Lisbeth Hooghe - Reihe Politikwissenschaft 88 - Institut für höhere Studien, Wien, April 2003 - http://aei.pitt.edu/531/02/pw_88.pdf -

[4] Europäische Verwaltungseliten. Die Reproduktion der europäischen Verwaltungselite im Spannungsfeld von nationalstaatlichem Einfluß und institutioneller Schließung - Christian Baier, Lisa Geißler, Matthias Hansel, u.a. - Oldenburger Studien zur Europäisierung und zur transnationalen Regulierung Nr. 17/2007 - Oldenburg, 2007 - http://www.sozialstruktur.uni-oldenburg.de/dokumente/beip17.pdf -

[5] Kerstin Poehls - Institutionalising a concept of Europe: the Collége d'Europe - in: The making and unmaking of the European Union: Fifty-five years of crabwalk? - Papers, Second HEIRS Conference - Portsmouth, 4 bis 5 November 2005 - http://aei.pitt.edu/7051/01/heirscolloquium2005.pdf -

[6] Beispiele von Tests für den Concours auf den Seiten der EU: - http://europa.eu/epso/competitions/test_sample_de.htm -

[7] In politischen Fragen, die von nicht auflösbaren Interessenwidersprüchen, z.B. KapitalbesitzerInnen und Kapitallose, bestimmt werden, ist die Objektivität einer 'richtigen' Lösung immer Schein.

[8] Auch in Mainstreammedien ist dies ein beliebtes Thema, z.B.:
Die Dunkelmänner. Hinter jedem EU-Parlamentarier stehen mehr als zwanzig Lobbyisten. Sie überwachen die Gesetzgebung, drohen Abgeordneten und kaufen Entscheidungen. - Petra Pinzler - in: DIE ZEIT, S. 30 - 48/2006 - http://www.zeit.de/2006/48/EU-Lobby -
Die schlimmsten Strippenzieher der EU - Susanne Amann - DER SPIEGEL ONLINE - 16. Oktober 2007 - http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,511286,00.html -
Lobbying Läuft Wie Geschmiert - Regie: Myriam Tonelotto - 45 Min. - NDR/Arte, 2003 .- http://www.staytuned.at/normale_archiv/125.html#anker2 -

[9] Z.B.:
Lobby Controll, Initiative für Transparenz und Demokratie - http://www.lobbycontrol.de -
Corporate Europe Observatory - http://www.corporateeurope.org -

[10] EU-Lobbyismus im Blickpunkt - Informationen auf der Internetseite des Europaparlament - http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?language=DE&
type=IM-PRESS&reference=20080414FCS26495&secondRef=0
-

[11] Lobby Planet, Brussels the EU quater. Explore the corporate lobby paradyse - Corporate Europe Observatory - Amsterdam, 2005 - http://www.corporateeurope.org/docs/lobbycracy/lobbyplanet.pdf -

[12] ebd.

[13] Åse Gornitzka / Ulf Sverdrup - Who Consults? Expert Groups in the European Union - In: Morton Egebert (Ed.) - Institutional Dynamis and the Transformation of Executive Politics in Europe - CONNEX Report Series No. 03 - http://www.mzes.uni-mannheim.de/projekte/connex/ - Mannheim 2007 - http://www.mzes.uni-mannheim.de/projekte/typo3/site/fileadmin/
BookSeries/Volume_Three/Book_Barcelona_final.pdf
-

[14] Yiorgos Wasssalos - Secrecy and corporate dominance, a study on the composition and trasparency of European Commission Expert Groups - Hg.: ALTER EU, Alliance for lobbying Transparency and Ethics Regulation in the European Union - http://www.alter-eu.org - March, 2008 - http://www.alter-eu.org/en/system/files/publications/expertgroupsreport.pdf -

[15] Ausführlich werden solche Institutionen z.B. im Buch Konzern Europa. Die unkontrollierte Macht der Unternehmen dargestellt;
Belán Balanyé / Ann Doherty / Olivier Hoedman / Adam Ma'anit / Erik Wesselius - Konzern Europa. Die unkontrollierte Macht der Unternehmen - Zürich, 2001 - (Obwohl dieses Buch inzwischen sicher in Teilen veraltet ist, hat sich doch grundlegend an den Strukturen bis auf den Austausch einiger Namen und Institutionen nichts geändert.)

[16] Bill Gates - A New Approach to Capitalism in the 21st Century - World Economic Forum 2008, Davos, Switzerland - Jan. 24, 2008 - http://www.microsoft.com/Presspass/exec/billg/speeches/2008/01-24WEFDavos.mspx -

"KLAUS SCHWAB: Then if I understand you correctly, you would give the advice -- that's my question -- that a corporation is concentrating on a few of such projects, not being all over the plate. And if I understand you correctly, you would also give the advice that a corporation, what it is doing is in line with its own capabilities. Is that correct?

BILL GATES: That's right. I mean, I'm sure that every company will do things like matching employee gifts. That lets the employee have more impact in their personal giving. I'm sure they'll do things in their local communities that are fairly broad.
But when you look on a global basis, when you look at the tough problems of the poorest, a company really should primarily stick to what it knows well: Does it know food, does it know distribution, does it know drugs, does it know media, does it know cell phones? There are, thank goodness, a lot of examples which I think would end up covering virtually all the companies that are here at the forum. But that's where in a sense you're developing something that's lower cost, and you're true to the identity and the expertise of that organization.

KLAUS SCHWAB: Such reason when we had this morning the water discussion, the two persons who took the lead were Peters Brabeck from Nestle, and Neville Isdell from Coca-Cola, two companies who have special expertise with water."
















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Zuletzt aktualisiert 30.10.14





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