J.Djuren


Kinderpitzel im Wandel der Zeit


Es ist falsch, wenn sich politische Debatten allein an der allgemeinen Medienaufmerksamkeit orientieren, und nachdem Themen aus den Medien verschwunden sind verstummen.
Denn dann werden die Dinge still durchgesetzt.
Und auf einmal ist es Alltag.
Wohin soll das führen?
Was lassen wir uns alles gefallen?

Am 30.06.2009 lief im SWR2 eine kurze Dokumentation "Kinderspitzel für die Stasi" von Hans-Otto Reintsch. Der Autor beschreibt seine eigene 'Täter'akte und seine jugendliche Realität als 15jähriger 1970 in der DDR. Die Absurdität des bürokratischen Vorgangs, der verdeckten Anwerbung eines IMK (IM-Kandidaten), eines 15jährig Ahnungslosen, die Beschreibung des pubertären jugendlichen Alltags im Stasi-Sprech des Anwerbers, geschnitten mit den Erinnerungen des heute Erwachsenen an seine Kindheit, bringt die abstruse gewaltsame Irrealität des bürokratisch totalitären Systems der DDR ans Licht. Eine Sendung (ca. 15 Min.), bei der es sich lohnt sie sich im Internet anzuhören.[1]
Sie ist leider auch aktuell.

Nachdem noch 2007 die Familienministerin Ursula van der Leyen mit einer Gesetzesvorlage zu jugendlichen Testkäufern zur verdeckten Ermittlung der Abgabe von Zigaretten und Alkohol an Minderjährige am öffentlichen Widerstand gescheitert war,[2] ist dies inzwischen nicht einmal 3 Jahre später Alltag. Auf der offiziellen Netzseite der Region Hannover, dokumentieren die staatlichen Stellen zur Zeit stolz die laufenden Zahlen darüber, wie viele Kioske, Supermärkte, Läden usw. sie heute wieder (2010) mit Hilfe ihrer Kinderspitzel des illegalen Verkaufs von Spirituosen oder Computerspielen überführt haben.[3]
Die Region Hannover setzt 14jährige Jugendliche ein um durch verdeckte Kaufaktionen die Einhaltung der Verkaufsverbote für Alkoholika und PC-Spiele zu überwachen.[4] Zuerst waren es nur Alkoholika und 16jährige Polizeischüler, inzwischen wurde die Aktion ausgeweitet auf PC-Spiele und es werden nun über Vertrauenspersonen 14jährig Jugendliche auch über andere Jugendstrukturen rekrutiert. Zuständig ist der 'Jugendschutz'. Stolz berichten die hannoverschen 'JugendschützerInnen' der Presse von ihren 'Erfolgen'.

Bei dieser Ausweitung wird es ausgehend von der Erfahrung mit anderen Überwachungsmaßnahmen nicht bleiben, wie in allen Bereichen der 'inneren Sicherheit' wird auch hier nach der Devise 'Der Zweck heiligt die Mittel' der Bereich der Ermittlungen immer weiter ausgedehnt werden. Da liegt das eigentliche Problem. Was kommt als nächstes?
Kinderspitzel die ihr MitschülerInnen überwachen?
Außer der Widerstand wird zu groß?
Noch steckt dies in den Anfängen.
Niedersachsen war eins der ersten Bundesländer, das Kinder als verdeckte Ermittler eingesetzt hat, die Ausweitung findet schleichend statt.

Die Schweiz, die ja das perfektere Deutschland ist, ist da schon weiter und hat bereits eine bürokratisch korrekte Broschüre über die bürokratisch korrekte Anwerbung von Kinderspitzeln und die Vergabe von Decknamen ins Netz gestellt.[5] Im Verhältnis zur Stasirealität ist dies zwar alles noch harmlos (In den Archiven der Staatssicherheit befinden sich 40 Forschungsaufträge, die sich allein mit der "Gewinnung von Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren für die inoffizielle Zusammenarbeit" beschäftigen.), die Sprache der Bürokratie ist aber bereits die selbe.
In der chinesischen Stadt Kunming werden SchülerInnen bereits als 'InformantInnen' eingesetzt um ihre MitschülerInnen zu bespitzeln und z.B. zu melden, falls diese Pornofilme auf ihren Handies gespeichert haben.[6]

Die Opfer sind hier zu aller erst die Kinder, die zu Spitzeln gemacht werden und denen beigebracht wird, wie Blockwarte zu denken.
Wie werden diese Kinder zukünftig mit Gleichaltrigen umgehen, bei Regelverstößen?
Wie sollen sie noch lernen eine sinnvolle Grenze zu ziehen, zwischen Verhaltensweisen, bei denen ein Eingreifen richtig ist (z.B. Gewalt gegen andere Kinder/Jugendliche) und Verhaltensweisen, die zwar illegalisiert sind, aber bei denen kein Außenstehender geschädigt wird (z.B. Kiffen) und bei denen erst die 'Meldung' den Schaden erzeugt (z.B. einen Schulverweis)?

Statt Jugendlichen mit Suchtproblemen zu helfen, statt gesellschaftliche Lösungen für die Ursachen (z.B. Perspektivlosigkeit / steigenden Leistungsdruck / Arbeitslosigkeit / Geschlechterrollenverhalten / soziale Verelendung) zu suchen, wird das Problem als eins der Kriminalität 'behandelt'.

Das größte Schwein im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.



Jörg Djuren


Kurze Texte zur Kritik aktueller politischer Verhältnisse - J.Djuren


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Fußnoten

[1] Kinderspitzel für die Stasi SWR2, 30.06.09 - http://www.podcast.de/episode/1277691/Kinderspitzel_f%C3%BCr_die_Stasi & http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/leben/-/id=4904204/
property=download/nid=660174/128xzkq/swr2-leben-20090630.pdf
-

[2] Von der Leyen Gesetzentwurf. Kinderspitzel ja, aber erst ab 14 Jahren - Spiegel - Hamburg, 13. Oktober 2007 - http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,511631,00.html - & "Kinder-Spitzel". Von der Leyen sucht neue Wege für Kinder als Testkäufer - Spiegel - Hamburg, 15. Oktober 2007 - http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,511631,00.html -

[3] Jugendschutzkontrollen in Wunstorf, Sehnde und Wedemark - hannover.de, den 17. Februar 2010 - http://www.hannover.de/de/buerger/pres_med/RH_pm-2010-02/pm048.html -

[4] Testkäufe in der Wedemark: 14-Jährige erhält in neun von 14 Fällen Alkohol, trotz Vorwarnung - hannover.de, 23. Juni 2009 - http://www.hannover.de/de/buerger/pres_med/RH_pm-2009/
RH_pm-2009-06/pm288.html
-

[5] Alkohol-Testkäufe Ein Praxis-Handbuch für Kantone und NGOs - Villars-sur-Gláne im Mai 2009 - http://www.ferarihs.ch/downloads/dt_Handbuch.pdf -

[6] Schulfach Spionage - in: Die Zeit - Nr. 14 - Hamburg, 31.03.2010 -



















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Zuletzt aktualisiert 30.10.14



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