J.Djuren


Das sanfte Vergessen der Bourgeoisie

 

"Man kann nicht umhin, erst einmal die Gewaltförmigkeit dieser Gesellschaft nachzuzeichnen, die sich noch im Gewaltvorwurf gegenüber der Studentenrevolte nicht unwirksam verschleiert. Nicht einmal Wohlmeinende und Kluge haben verstanden, dass angesichts der geschichtlichen Lage und der Entstellung oder Verkehrung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen der Friede nur als unversöhnlicher über uns kommen kann, dass er den Frieden der Unterdrückung als Kirchhofsruhe unfriedlich aufkündigen muss." (Peter Brückner, Frankfurt 1972 - Prof. P. Brückner wurde Ende der 70er Jahre aufgrund seines politischen Engagement in der BRD mit einem 129a Verfahren politisch verfolgt und ihm wurde untersagt die Universität weiter zu betreten.)

 

Das Verbot spezifischer Wörter, ihre 'Unmodernität', das eben auch das Wort Bourgeoisie betrifft, ist selbst Teil des Vergessensprozesses, um den es hier unter Bezug auf die aktuelle politische Praxis etablierter Nichtregierungsorganisationen geht. Denn es sind eben die Kinder dieser Bourgeoisie die 68 die oben genannte Kritik begriffen hatten nur um sie als bald wieder zu vergessen. Und es sind eben diese Kinder, die heute die Positionen ihrer Eltern erreicht haben, die wesentlich auch die politische Praxis etablierter Nichtregierungsorganisationen bestimmen.

Wenn ich von etablierten NRO schreibe, meine ich damit, die Organisationen, die nicht aufgrund der vielfältigen Aktionen einer Basis, für die sie stehen, politische Wirksamkeit entfalten, wie z.B. der Anticastorwiderstand, sondern die Organisationen, die in einem langen Prozeß oder mit einer geschickten Pressepolitik soziales Kapital angespart haben, und auf der Grundlage dieses Kapitals mit wenigen Hauptamtlichen als AnwältInnen der humanistischen oder ökologischen Interventionspraxis auftreten. Und die sich, wie das bei AnwältInnen üblich ist, dafür auch angemessen bezahlen lassen.

 

Anfang der 70er war von vielen politisch Aktiven in der BRD begriffen worden, daß eine politische Praxis weit über reine Institutionenpolitik hinausreichen muss, daß die Veränderungen das bürgerliche Subjekt selbst betreffen müssen. Von feministischer Seite wurde außerdem darauf verwiesen, daß auch die Geschlechtskonstitution zu den Gewaltpraxen dieser Gesellschaft gehört, von der Männer profitieren. Von der Kritischen Theorie bis hin zu Ingeborg Bachmann wurde klar formuliert, daß wesentliche Gewaltverhältnisse sich gerade nicht an obrigkeitsstaatlichen Praxen festmachen lassen, sondern längst internalisiert wurden und in alltägliche Verrichtungen eingedrungen sind.

Das heißt jede Veränderung gewaltförmiger Praxis setzt voraus, nicht nur den institutionellen Rahmen zu verändern, sondern auch das Subjekt selbst zu destabilisieren, und mit ihm natürlich auch den Impetus aufklärerischer Erziehungspraxis, wie Philipp Storz in seinem Beitrag zur Debatte[1] treffend bemerkt hat. Dies erscheint vielleicht sogar auf den ersten Blick noch als Konsens, werden doch die autoritären Erziehungspraxen der 60er Jahre und die damit verbundenen autoritären Politikstile allenthalben zumindest im liberalen NRO-Spektrum kritisiert. Eine Kritik, die ja geradezu als Legitimation für die NRO dient, für neue partizipative Entscheidungs- und Politikmodelle. Nun bemerkt Peter Brückner aber in seinen Schriften, das nicht nur die althergebrachten Erziehungsmethoden und Politikstile sondern auch die moderneren permissiven Erziehungspraxen autoritären Mustern folgen.

So führt er aus, dass durch die gewähren lassenden Erziehungsmethoden häufig die Kinder eben der oben genannten direkten Gewalt alltäglicher Verrichtungen frühzeitig ausgesetzt werden, zu einem Zeitpunkt also, der ihnen kaum die Chance bietet erfolgreiche Strategien des Widerstandes gegen diese Formen struktureller Gewalt zu entwickeln. So werden Kinder und Jugendliche frühzeitig an eine Realitätstauglichkeit herangeführt, die jegliches Widerstandpotential, das immer Utopiefähigkeit voraussetzt, die die gesellschaftlich gesetzten Grenzen überschreitet, im Keim erstickt.

Gleichzeitig konstituiert sich dabei Familie, das Private, als Ort scheinbarer Gewaltfreiheit, da alle wesentliche Gewalt auf ein Außen projiziert wird, übersehen wird dabei, dass zum Beispiel Schreiintoleranz nicht nur der Sorge um das Kind geschuldet ist, sondern auch selbst wieder eine neue Norm aufrichtet, die vielleicht ihr modernes Spiegelbild in der zwanghaften Simulation der happy family in kleinen modernen Produktionseinheiten findet, oder an den runden Tischen der NRO.

 

Auf den ersten Blick mag scheinen, daß dies wenig zu tun hat mit politischen Praxis moderner NRO.

Nun finden sich aber eben diese kritisierten Erziehungspraxen auf der Ebene der aufklärerischen Praxis der etablierten NRO und ihrer realitätssüchtigen Alltagspolitik wieder. So ist eine der Hauptargumentationsfiguren, die immer wieder auftaucht, die Ablehnung grundsätzlicher Veränderungen mit dem Verweis; Man müsse sich an dem gesellschaftlich Machbaren orientieren. Viele NRO suchen inzwischen auch, schon aus finanziellen Gründen, die Zusammenarbeit mit großen Geldgebern und der Industrie, verklausuliert wird dabei der eigenen Finanzbedarf als neuer Pragmatismus. Jede AnwältIn, die sich auf diese Weise von der Gegenseite finanzieren ließe, würde damit gegen Recht und Gesetz verstoßen, aber für die etablierten NRO ist dies wohl auch nicht mehr die Gegenseite. Sie sind längst eins geworden mit den Interessen des Standorts Deutschland und der nachhaltigen Entwicklung des Kapitalismus. So zeigen sie sich vielleicht auch am treffensden im Agendaprozess als Vermittlungs- und Erziehungsinstanz der Kapitalseite.

 

Das heißt diese modernisierten etablierten NRO sind letztendlich der Transformationsriemen für die allgemeine Etablierung des modernisierten Typus des autoritären Charakters und der dafür notwendigen Internalisierung neuer Normen in breiten Schichten der Bevölkerung. Gramsci bezeichnet die zivilgesellschaftlichen Institutionen eben als Teil der Herrschaftspraxis zur Herstellung der kulturellen Hegemonie. Diese Aufgabe, die früher die Kirche inne hatte, ist heute zum Teil an die Wissenschaft und die Medien zum Teil aber auch an eben die benannten NRO übergegangen.

Letztendlich zeigt sich an den Auseinandersetzungen um den Kosovokrieg aber auch an der Auseinandersetzungen um die Weltausstellung 2000 in Hannover und der dort vertretenen Ideologien, das große Teile dieser etablierten NRO sich selbst zu eben der großen Mitte rechnen, in der schon die Grünen, die SPD und die CDU sich verorten. Dies ist, unter Berücksichtigung der bürgerlichen Herkunft der meisten Hauptamtlichen, auch nicht verwunderlich. So versteht sich diese Mittelschicht auch gegen Mehrheiten in der Bevölkerung hervorragend. Ihre Kritiken von 68 haben sie längst sanft vergessen.

Eine Göttinger StudentInnengruppe hat dies auf einem hübschen Plakat treffend zum Ausdruck gebracht; Unter einem Bild, auf dem sich SPD- und CDU-Spitzen freundschaftlich zugewandt sind, haben sie vermerkt; "Bleiben wir realistisch, es gibt keine Alternative zur Revolution."

 



Wider die Anpassung an Herrschaftsverhältnisse - J.Djuren




Seitenanfang



[1]Der Artikel wurde in der Debatte der Zeitschrift Freitag zur Bedeutung von NRO publiziert.



Seitenanfang











Copyright für alle hier publizierten Texte von Jörg Djuren: CC BY SA


Alle auf diesen Seiten publizierten Texte von Jörg Djuren sind auf Dauer auch über den Tod des Autors hinaus vom UrheberInnenrecht freigestellt, dies gilt für alle NutzerInnen, die auch ihre Folgeprodukte wieder vom UrheberInnenrecht freistellen - CC BY SA -. Insbesondere sind Verwertungen durch 'sogenannte' Verwertungsgesellschaften (VG-Wort/GEMA/usw.) diesen ausdrücklich und dauerhaft untersagt - Eigentum ist Diebstahl.
Die Weiterverbreitung, Nutzung und Spiegelung der Texte ist ausdrücklich erwünscht.
Alle Texte stehen unter der Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ - This work is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License



Impressum: Paula & Karla Irrliche



















Zuletzt aktualisiert 30.10.14





NGO. 'Das sanfte Vergessen der Bourgeoisie', Kritik der 'neuen' staatsnahen Nichtregierungsorganisationen - Text über; Anarchie RNRO NRO GNGO anarchistisch Anarchismus Politik Widerstand AlternativeLinke Radikal Antikapitalismus Kapitalismus Kritik Utopie