J.Djuren


Warum ein Prostitutionsverbot die Menschenwürde mißachtet

Ich halte nichts von ihrer Art, Sexualität zu leben,
und doch würde ich für ihre Freiheit, sie zu leben, kämpfen!



Die Grundlage aller Freiheit ist die Freiheit körperlicher Selbstbestimmung. Alle anderen Freiheiten setzen diese Freiheit voraus.
Für AnarchistInnen muss es deshalb zum wichtigsten Prinzip gehören diese Freiheit zu verteidigen und dort, wo sie nicht existiert, zu erkämpfen.

Für viele Menschen, mich eingeschlossen, ist dabei diese Freiheit ursächlich mit ihrer Menschenwürde verbunden. Die Infragestellung der körperlichen Selbstbestimmung bildet für mich den Kern menschenverachtender Praxen. Insbesondere gilt dies für die Infragestellung der sexuellen Selbstbestimmung als Teil der körperlichen Selbstbestimmung. Deshalb ist jede Form aufgezwungener Sexualität in meinen Augen ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Und wenn ich JEDE FORM AUFGEZWUNGENER SEXUALITÄT schreibe, meine ich genau dies.

Daraus folgen zwingender Maßen zwei Schlussfolgerungen.


• 1) Jede Form sexueller Handlungen, die in freier und einvernehmlicher Entscheidung zwischen Erwachsenen stattfinden, ist zu akzeptieren.

Das ist völlig unabhängig davon, ob ich diese Handlungen als richtig/falsch, moralisch/unmoralisch, gesund/ungesund oder als schädlich für die Handelnden ansehe. Das Recht auf freie körperliche Selbstbestimmung darf nicht durch solche Erwägungen eingeschränkt werden. Freiheit existiert nur dort, wo ich auch Dinge tun kann, die mir nach Meinung anderer Schaden zufügen. Jede Einschränkung öffnet der Willkürherrschaft Tür und Tor. Denn in all diesen Fragen geht es immer darum, anderen ein Wertesystem aufzuherrschen, dass nicht ihres ist.
Letztendlich wird das Subjekt einer Norm unterworfen und verworfen, seiner Menschenwürde beraubt.

Unabhängig davon kann ich natürlich Praxen, die ich für falsch halte. kritisieren. Genauso, wie ich mit der Kritik anderer leben muss. Ich kann versuchen Menschen zu überzeugen von einer anderen Lebensweise. Gelingt mir dies nicht, muss ich dies akzeptieren. Alles andere führt in Politiken eines jakobinistischen Wohlfahrtsstaates oder die Umerziehungslager totalitärer Staaten.

Was bedeutet dies für die Prostitution? Eine Kriminalisierung der Prostitution, dort wo sie in freier Entscheidung einvernehmlich stattfindet, ist ein massiver Verstoß gegen die Menschenwürde der Beteiligten und vollständig inakzeptabel.

• 2) Jede Form sexueller Handlungen, die nicht in freier und einvernehmlicher Entscheidung zwischen Erwachsenen stattfinden, ist zu bekämpfen.

Das ist völlig unabhängig davon, ob ich diese Handlungen als richtig/falsch, moralisch/unmoralisch, gesund/ungesund oder als hilfreich für die Betroffenen ansehe.


Was bedeutet dies für die Prostitution? Erhebliche Teile der Prostitution auch in Deutschland finden heute in Verhältnissen statt, die zum Teil offensichtlich von Gewalt/Zwang geprägt sind oder zumindest berechtigte Zweifel an der Freiwilligkeit aufkommen lassen. Dies gilt es mit entsprechenden Maßnahmen zu bekämpfen.
Das heißt aber, es geht nicht darum die Prostitution an sich, sondern die nicht einvernehmlich in freier Entscheidung stattfindende Prostitution zu bekämpfen.

Die Gewalt muss bekämpft werden. Gewalt ist dabei gefasst als Handlung die sich gegen die Selbstbestimmung richtet. Gewalt kann dabei darauf gerichtet sein, als Staatsgewalt einvernehmliche Prostitution zu unterbinden, oder, als sexistische Gewalt Zwang zur Prostitution sein. In beiden Fällen müssen AnarchistInnen dies bekämpfen und sich für die Freiheit der körperlichen Selbstbestimmung einsetzen.

Ich muss die Handlungen anderer Menschen, ihre Lebensweise, nicht verstehen, nachempfinden können oder gut heißen. Der Respekt vor der Menschenwürde der Anderen gebietet mir, diese Handlungen völlig unabhängig davon zu respektieren, solange sie auf der freien und einvernehmlichen Entscheidung aller Betroffener basieren. Diese Respektierung zu verweigern bedeutet nichts weniger als die Mißachtung der Menschenwürde der Anderen.

Diese Mißachtung zeigt sich für mich auch im Menschenbild einiger der AutorInnen, die sich für ein allgemeines Verbot der Prostitution aussprechen. Ausgangspunkt ist hier häufig die Annahme, es gebe DEN MENSCHEN und DIE RICHTIGE GUTE SEXUALITÄT, die dann der prostitutiven Sexualität entgegengesetzt wird. DEN MENSCHEN gibt es aber nicht. Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie alle recht verschieden sind und dies schließt das sexuelle Empfinden und Gefühle mit ein. Was eine/r als angenehm empfindet kann für die/den anderen Gewalt sein. Das selbe Lächeln bei unterschiedlichen Menschen kann einmal Ausdruck von Freude und einmal aggressive Kampfansage sein.
Jede kann nur für sich selbst, jeder kann nur für sich selbst, feststellen, was Gewalt ist, was nicht, was schön ist, was nicht, was akzeptabel ist, was nicht, usw.. Aus diesem Grund ist die freie Selbstbestimmung zentral für die Menschenwürde, weil alle Menschen anders sind. Dies Differenz zu negieren ist deshalb in sich bereits eine Mißachtung der Menschenwürde.

Zum Teil wird auch mit den strukturellen Gewaltverhältnissen argumentiert. Diese Gewaltverhältnisse (Sexismus / Kapitalismus / Rassismus / ...) sind traurige Realität. Diese Gewaltverhältnisse können aber keine Legitimation sein, die Selbstbestimmung einzuschränken. Im Gegenteil, die Selbstbestimmung innerhalb dieser Verhältnisse ist ein erster unumgänglicher Schritt um diese Verhältnisse selbst zu überwinden. Prostituierte zu 'ihrem Besten' zu entmündigen und ihre Arbeit zu kriminalisieren (und dies ist auch der Fall wenn die KundInnen kriminalisiert werden) ist keine Lösung, sondern Teil sexistisch paternalistischer Politik.

Dies alles sehe ich in einem gesellschaftlichem Kontext in dem insgesamt die Bereitschaft totalitärer Zugriffe auf die Lebensweise der Menschen zunimmt. Begründet wird dies fast immer damit, dass es zum Besten der Betroffenen wäre (Antirauchpolitik / Gesundheitspolitik / Zwangspsychiatrie / ...). Die Taliban des Westens sind genau wie ihre islamischen Brüder und Schwestern zutiefst von der Richtigkeit ihrer Lebensweise überzeugt und wie diese leiten sie daraus das Recht ab, andere zur guten Lebensführung zu zwingen und dabei das Selbstbestimmungsrecht zu mißachten oder auch mal Truppen zu schicken. Der Begriff des Gutmenschen ist ein Kampfbegriff aus der rechten Ecke und doch bekommt er hier eine neue Legitimation. Diese Menschen glauben sie wüssten, was das Gute ist, und leiten daraus die Legitimation ab, anderen ihre Lebensweise aufzuherrschen.

Noch eine Schlussbemerkung zur Sexualität von Kindern und Jugendlichen. Zwischen Erwachsenen und Kindern kann es grundsätzlich keine freie selbstbestimmte Sexualität geben. Kinder bedürfen hier eines Schutzraumes (vor Zugriffen Erwachsener) ohne ihnen eine Sexualität abzusprechen.
Für Jugendliche gilt, dass es einer Abwägung zwischen Schutz und Freiraum zur Entwicklung einer freien und selbstbestimmten Sexualität bedarf. In vielen englischsprachigen Ländern wird dieser Freiraum inzwischen zunehmend eingeschränkt. Und auch in Deutschland gibt es Tendenzen in dieser Richtung im Kontext der Debatte um das Internet. Z.B. die Forderung Jugendliche zu kriminalisieren, falls sie Posingfotos von sich im Internet posten (Sicher ist das nicht sinnvoll, aber kaum ein Fall für die Justiz). Eine Entwicklung die im Kontext der oben genannten repressiven Tendenzen steht.

Meine eigene Position zur Prostitution ist ablehnend, aber ich halte die "normale" Ehe und die "normale" Familie strukturell nicht für weniger gewaltsam und sexistisch. Die Kriminalisierung und Ausgrenzung der Prostitution durch das BürgerInnentum dient wesentlich der Verschleierung dieser Tatsache.


"Ein interessantes Merkmal der Prostitution ist, [...] daß die Prostituierten sich außerhalb des legalen Marktes feilbieten müssen.
Besonders wichtig daran ist, daß die Prostituierten von den "guten" Frauen abgesondert werden. Ziel dieser Trennung scheint die Verschleierung der politischen Funktion der "guten" Frauen zu sein mit dem Ziel, die Furcht der "guten" Frauen vor der Prostitution zu verstärken. Ein "Rand"-Erfolg dieser Spaltung ist die Verhinderung der Kontaktaufnahme zwischen "guten" Frauen und der einzigen Straßenguerilla, die wir bis jetzt haben."


(Ti-Grace Atkinson - Individuelle Verantwortung und die Unterdrückung des Menschen - Rede vom 28.5.1970, Frauenkonferenz in New York - Ti-Grace Atkinson war eine der wichtigsten US-Amerikanischen Feministinnen der 60er Jahren, die autonome basisdemokratische Strukturen bildete, als ihr die Mainstreambewegung unter Kate Millet u.a. sich zu sehr der kapitalistisch sexistischen bürgerlichen Herrschaft unterordnete. Der Spruch 'Feminismus ist die Theorie und Lesbianismus die Praxis' wird auf sie zurückgeführt. Sie verstand darunter eine politische Praxis.)


Jörg Djuren, 2014
(Erstveröffentlichung - graswurzelrevolution 391 - Münster, September 2014)

Kurze Texte zur Kritik aktueller politischer Verhältnisse - J.Djuren

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Zuletzt aktualisiert 30.10.14



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