J.Djuren


Gegen JEDEN Schleierzwang


Der Schleier ist ein Mittel zur Kontrolle der Körper von Frauen und ihrer Sexualität. Der 'gefährliche' weibliche Körper und die behauptete Notwendigkeit (männlicher) gesellschaftlicher Kontrolle der Sexualität von Frauen zieht sich durch viele Gesellschaften. Der islamische Kulturraum ist hier nicht die Ausnahme, sondern entspricht leider in dieser Form sexistischer (patriarchaler) Kontrolle eher, nach wie vor, der Regel.

Dem widerspricht auch nicht, dass islamische Frauen und Männer andere Begründungen für den Schleier angeben. Das Tabu über sexuelle Ängste und daraus resultierende gesellschaftlich Zwänge und Unterdrückungsverhältnisse zu sprechen ist nach wie vor so stark, auch in unserer Gesellschaft, dass vorgeschobene Begründungsmuster, seien es religiöse oder rationalisierende Argumente, die Normalität der Nichtbenennung darstellen.
Und auch die starke Beteiligung von Frauen an der Durchsetzung von Verschleierungszwängen ist eher ein Beleg der sexistischen Realität und ihrer Wirkmächtigkeit, als Widerspruch zu ihr. Die Autorin Brankica Bečejac schrieb 2000 sinngemäß, dass die Frauen zwei Feinde hätten bei ihrem Kampf gegen Sexismus und Patriarchat, den Mann und sich selbst. Auch dies gilt heute nach wie vor.
Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen der individuellen Entscheidung einer Frau sich zu verschleiern und der Aufrichtung und Durchsetzung einer Norm der Verschleierung. Die individuelle Entscheidung sich zu verschleiern, z.B. um sich gewaltförmig sexistischen männlichen Blicken zu entziehen, ist individuell legitim, obwohl sie natürlich dass Problem des Sexismus in keiner Weise löst. Nur ist Sexismus ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss gesamtgesellschaftlich gelöst werden, die Lösung darf nicht einzelnen Frauen aufgebürdet werden. Auch eine Entscheidung für oder gegen den Schleier, aus welchen individuellen Gründen auch immer, muss frei sein, nur unter den herrschenden Zwängen in islamischen Gemeinschaften und auch vielen Familien, ist sie dies NICHT.
All die, die aber anderen Vorschriften in dieser Richtung machen wollen, handeln verwerflich und schon die Nichtsolidarisierung mit Frauen, die der Norm nicht genügen und ausgegrenzt werden, ist MittäterInnenschaft.

Nun wird in Deutschland der Schleierzwang gerne öffentlichkeitswirksam kritisiert. An dieser Kritik wäre auch nichts auszusetzen, wenn denn die deutsche Gesellschaft nicht selbst einen vergleichbaren Schleierzwang Frauen seit drei Jahrzehnten mit steigender Kontrollintensität und steigender Gewaltsamkeit auferlegen würde. Angesichts dessen ist dies aber nur verlogen.
Ich spreche hier von den seit den späten 1980er Jahren um sich greifenden und für Frauen zunehmenden Drücken zur Körperhaarentfernung.
Ich habe 2005 meine Abschlussarbeit in der Sozialpsychologie zum Thema 'Körperbehaarung und Geschlecht. Die Formierung des Leibes und Widerstandspraxen zu Beginn des 21ten Jahrhunderts.' geschrieben. Einer der häufigsten Beweggründen den Frauen für die Körperenthaarung angeben ist 'I love this soft an silky feeling', ein Spruch aus der Werbebranche. In empirischen Untersuchungen, die etwas tiefer graben, und Verbindungen zu Sexualängsten ergründen, zeigen sich aber darunter liegend ganz andere Motivationen, die von der Werbebranche auch gezielt für Angstkampagnen und zur Durchsetzung einer Enthaarungsnorm eingesetzt wurden. Die Körperenthaarung dient der Einhegung von Ängsten vor der Sexualität von Frauen, sie dient der (Selbst)Kontrolle des sexualisierten Körpers der Frau und ist Teil sexistischer Kontrollmechanismen der Frau über bzw. durch ihren Körper. Die Körperenthaarungspraxen haben damit für den Westen eine in weiten Bereichen identische Funktionalität wie der Schleier im Islamischen Kulturraum. Ausführlicher dargestellt mit Quellenangaben kann dies in der Magisterarbeit (1) im Internet nachgelesen werden. Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen beziehen sich auf die USA, in der diese Mechanismen schon sehr viel länger wirken, leider hat sich dies aber auf Deutschland übertragen. Dass in Deutschland noch in den 1970er und frühen 80er Jahren diese Norm nicht existierte kann z.B. an Bildern von Uschi Glas oder FKK-Fotos aus der DDR nachvollzogen werden.
Trotz dieser Analysen hatte ich 2005 die Hoffnung, dass sich diese sexistische Norm in Deutschland unter anderen aufgrund feministischer Gegenwehr nicht dauerhaft durchsetzen würde, sondern, dass sich eine Freizügigkeit vergleichbar dem Umgang mit Kopfbehaarung herausbilden würde. Aktuelle Zeitungsberichte z.B. in der Zeit und die Kommentarspalten zeigen aber leider eine andere Realität. Die Gewaltsamkeit einer Körperenthaarungsnorm scheint immer weiter zuzunehmen und die Intoleranz, Stigmatisierung und Diffamierung, bis hin zu Übergriffen gegen Frauen, die sich ihr nicht unterordnen, mit ihr. Und auch in diesem Bereich geht der Trend inzwischen zum Schador zur Ganzkörperenthaarung mit Ausnahme der Kopfbehaarung.

Nun werden eine Reihe Leserinnen sagen, Sexualängste, Ängste vor sexistischer Sexualisierung und Stigmatisierung, wären für sie aber kein Grund, weshalb sie sich für Körperenthaarung entschieden hätten, sondern das Körpergefühl und eventuell Hygiene. Dazu einige Anmerkungen.

- Natürlich kann es Frauen geben, die sehr selbstbewusst sich unabhängig von den Zwängen der Gesellschaft für Körperhaarentfernung entscheiden, vergleichbar selbstbewussten Frauen, die sich für Verschleierung entscheiden. Und eine Realität, in der dies jede frei ohne Druck entscheiden könnte, wäre die wünschenswerte, dies ist aber nicht die heutige Realität.

- Das Hygieneargument ist insofern Unsinn, da durch die Rasur gerade nicht die Hygiene gefördert wird, sondern der Körper mehr schwitzt, außerdem gehe ich davon aus, dass sich auch Frauen, die ihre Körperhaare entfernen, waschen. Und Schmutz, das Gefühl des Unsauberen, steht geradezu klassisch ein für Sexualängste.

- Deutlich werden Teile der Motivation, wenn es um die sogenannte Bikinizone geht, also die Sorge darum, dass kein Haar hervorlugt. Hier ist offensichtlich, dass es um nichts anderes als um den sexualisierten Blick auf Frauen und die Kontrolle weiblicher Sexualität geht, die eben nicht als eigenständige nach Außen hervorlugen darf, nicht sichtbar werden darf als eigenständige innerhalb der patriarchal sexistischen Ordnung. Dass Frauen, um sexistischen Blicken von Männern auszuweichen, hier Haare beschneidende Vorsorge treffen, ist verständlich und legitim, belegt aber nur die extreme Wirksamkeit und gewaltsame Dominanz der sexistischen Ordnung.

- Alle Männer und auch alle Frauen, die meinen ,Frauen im Allgemeinen hier Vorschriften machen zu müssen, oder sich gar berechtigt fühlen, gegenüber Frauen, mit nach ihrer Meinung inadäquater Behaarung, im öffentlichen oder privaten Raum verbal oder sogar körperlich übergriffig zu werden, beweisen damit nur, das es um sexistische Dominanzverhältnisse geht.

- Dass auch Männer sich Körperhaare entfernen, widerspricht der Analyse nicht, sondern verweist darauf, dass auch Männer zunehmend unter den Druck sexistischer Körperpolitiken und Körperformierungen geraten.

Natürlich ist es legitim hier für sich selbst jede Entscheidung zu treffen, die einer/einem passt, aber eben nur für den Umgang mit dem eigenen Körper. Es ist Sexismus und Gewalt anderen hier die eigenen Körperpraxen als Norm aufzuzwingen. Der Zwang zu Körperhaarentfernung ist in nichts legitimer als der Zwang zur Verschleierung im Islam und nichts anderes als die westliche Variante des Schleiers - und Männer und Frauen, die in Internetforen, in ihrem Umfeld und der Öffentlichkeit hetzen gegen Frauen, die sich ihrer Meinung nach nicht hinreichend enthaaren, sind nichts anderes als die westliche (christliche) Variante der reaktionären fundamentalistischen islamischen TugendwächterInnen. Wer sich nicht mit Opfern der KörperhaarentfernungswächterInnen solidarisiert und gegen diese Form von Sexismus und sexistischer Normdurchsetzung protestiert, ist MittäterIn.

Gegen JEDEN Schleierzwang!



Jörg Djuren, 2018


Kurze Texte zur Kritik aktueller politischer Verhältnisse - J.Djuren

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Links


Anmerkungen:

1) Die Magisterarbeit 'Das Behaarte und das Unbehaarte. Körperbehaarung und Geschlecht. Die Formierung des Leibes und Widerstandspraxen zu Beginn des 21ten Jahrhunderts.' mit Quellenangaben kann im Internet eingesehen werden: www.irrliche.org/politische_kritik/achselhaare_rasur.htm.
Dazu eine Korrekturanmerkung: In meiner Magisterarbeit habe ich insbesondere in der Diskussion deutscher Verhältnisse den Zusammenhang zwischen Hygiene- und Sexualdiskurs nicht erfasst, fälschlicher Weise einen Widerspruch zu den USA konzipiert und dadurch die Angleichung der Situation in Deutschland an die USA unterschätzt. Ich bitte das bei der Lektüre zu berücksichtigen.

2) In der medizinischen Forschung existieren Hinweise darauf, dass die Achselhaarrasur plus Nutzung bestimmter Arten von Deodorant das Brustkrebsrisiko signifikant erhöhen. Da meines Wissens die Voruntersuchungen mangels Finanzierung nie zu belastbaren weiteren Studien geführt haben, ist dies bis heute als ernst zu nehmendes Risiko zu werten.



















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Zuletzt aktualisiert 30.04.19



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