Heimat = Shangri-La? Die Tibetfrage & Neonationalismus in Deutschland
und anderswo
Es gibt keine ChinesInnen, Deutschen oder TibeterInnen
Es gibt sie nicht qua Geburt oder Schicksal. ChinesInnen, Deutsche und TibeterInnen werden
produziert. Die Erfindung des Nationalstaats ist die für die
Entwicklung der modernen kapitalistischen Systeme vielleicht
wichtigste Innovation der Neuzeit, wichtiger als die meisten
technischen Innovationen, wichtiger als die Dampfmaschine.
Vor dieser Innovation gab es BäuerInnen, Leibeigene, Adelige, Mönche,
BettlerInnen aber keine StaatsbürgerInnen, keine Deutschen,
keine FranzösInnen, keine BritInnen. Und es gab keinen
Kapitalismus, da Leibeigene und BäuerInnen nicht als freie
Arbeitskräfte zur Verfügung standen, da durch das
Zunftwesen Gebietsmonopole für Handwerker gesichert waren, da
keine allgemeine Rechtssicherheit die Vertragsfreiheit garantierte,
da Steuern, Abgaben und Zölle regional willkürlich
festgelegt wurden, und ...
Erst durch die Erfindung des Nationalstaates konnte sich die kapitalistische
Entwicklungsdynamik entfalten. Der Nationalstaat leistete aber
weitaus mehr als das oben bereits angeführte. Der französische
Philosoph Michel Foucault führte, um dieses Mehr zu fassen, den
Begriff Biopolitik ein. Biopolitik, das ist die auf den Körper
des Einzelnen gerichtete Disziplinarpolitik und die auf den
Bevölkerungskörper insgesamt gerichtete Politik.
Biopolitik, das ist die Voraussetzung für die Produktion der
Subjekte der Moderne durch die Machttechnologien des Nationalstaates,
Machttechnologien durch die dieser sich überhaupt erst als
Nationalstaat konstituiert hat.
Zur auf den einzelnen Körper gerichteten Biopolitik gehört z.B.:
- Die Dressur des Körpers nach den formalen Regeln abstrakter Zeitsetzung (also
der UHR) und sinnentleerter gleichförmiger Tätigkeit zu
funktionieren (Arbeitshäuser).
- Die Formierung der Körper im modernen Militärapparat.
- Die Verschulung der Menschen.
Zu der auf den Bevölkerungskörper gerichteten Biopolitik gehört z.B.:
- Die moderne Seuchenpolitik (Cordonne Sanitaire).
- Die Architektur der AbeiterInnenvorstädte.
- Die staatliche Sexualpolitik.
- Die Ein- und Ausreisekontrolle und Steuerung der Wanderungsbewegungen.
Erst durch die biopolitischen Eingriffe des Nationalstaates wurden die Subjekte
produziert, die der Kapitalismus benötigte. Der Nationalstaat
produzierte damit aber auch den Staatsbürger und die
Staatsbürgerin, die zumindest formale Gleichheit vor dem Gesetz,
die Arbeitsfreiheit innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen (Das
Recht überall Arbeit anzunehmen - bis ins 19te Jahrhundert gab
es in den Herrschaftsgebilden auf dem Gebiet des späteren
deutschen Nationalstaates für große Teile der ländlichen
Bevölkerung schlichtweg ein Verbot irgendwo anders hinzugehen
-). Und, der Nationalstaat produzierte auch ein reziprokes
Anspruchsdenken, Forderungen nach sozialstaatlicher Absicherung.
Diese Erfindung mit Namen Nationalstaat war eine Revolution, sie ging
nicht notwendig aus dem Vorhergehenden hervor und schon gar nicht aus
den Königreichen oder Fürstentümern des Mittelalters,
eher lag ihr Ausgangspunkt schon in den freien Städten, sie war eine
Erfindung des BürgerInnentums.
Die nationalstaatliche Mythologie, die Erzählungen von Nationen, die schon immer
existiert haben, ihren Schlachten, ihren Legenden, ist nichts weiter
als eine Konstruktion legitimierender Ideologie. Die moderne
Geschichtswissenschaft wurde im 19ten Jahrhundert als Anstalt
nationalstaatlicher Ideologieproduktion begründet.
Der Nationalstaat konstruiert sich dabei, ähnlich modernen Subjekten, im
Nachhinein eine Individualgeschichte, die notwendiger Weise zu seiner
Existenz und seinem Handeln hinführen mußte. Gäbe es
schwule Nationalstaaten, würde die Geschichtswissenschaft sicher
feststellen, daß schon die zum Vorläufer erkorenen
Gesellschaften alle schon immer schwul waren. Dabei läuft diese
Konstruktion von nationalstaatlicher Identität über
'Kindheitserinnerungen' eines 'Staates' der Konstruktion von
Subjekten über ihre Kindheitserfahrungen parallel.
Das moderne staatsbürgerliche Subjekt ist nicht ohne den Nationalstaat
denkbar, es konstruiert sich selbst in der homogenisierenden
Historisierung seiner Individualentwicklung im Gleichschritt mit dem
Nationalstaat.
Dabei gibt es in der Regel nicht nur eine Erzählung über die Nation, sondern
mehrere konkurrierende Versionen, die für sich jeweils absolute
Gültigkeit beanspruchen, und die Interessen unterschiedlicher
Gruppen im Nationalstaat widerspiegeln. Real ist der Nationalstaat
hochgradig inhomogen, aus einander strebend und widersprüchlich.
Doch diese Realität wird entweder mit Gewalt oder über die
Homogenisierung gegenüber einem äußeren (oder inneren
- z.B. Rassismus -) Gegenpool übertüncht. In der Phase der
Konstruktion von Nationalstaaten führt dies fasst immer zu
extremen Gewaltexzessen.
Die anarchistischen und frühsozialistischen Bewegungen stellten diesem
nationalstaatlichem Prinzip ein allgemeines Menschenrecht gegenüber.
Und
was ist jetzt mit Tibet?
Tibet war bis zum Einmarsch der Armee der Volksrepublik China kein Nationalstaat. Tibet
war ein Gebiet das von Adelsherrschaft und Nomadenkulturen geprägt
war, die lose über die buddhistischen Mönchsschulen
verbunden waren. Dabei gab es in der Geschichte der Region
vielfältige kleinere kriegerische und gewalttätige
Auseinandersetzungen zwischen den buddhistischen Mönchsschulen
(z.B. zwischen Gelbmützen und Rotmützen im 18ten
Jahrhundert - die Gelbmützen, die Schule des Dalai Lama,
folterten und mordeten, plünderten und zerstörten Klöster,
verbrannten Bücher und machten Tempel zu Ställen1
-), aber auch innerhalb der Orden, mit dem Adel und mit den
nomadischen Reitervölkern gab es immer wieder
Auseinandersetzungen. Von den 13 Dalai Lama, die dem jetzigen vorher
gingen, starben nur drei nachweislich eines natürlichen Todes,
bei den übrigen wird in der überwiegenden Zahl von Mord
ausgegangen (üblich waren Giftmorde). Die Mehrheit der
Bevölkerung lebte entweder als Nomaden in Clanstrukturen oder in
unfreien Verhältnissen gebunden an eine Adelsfamilie. Soziale
Unzufriedenheit äußerte sich ähnlich dem europäischen
Mittelalter in der Bildung von 'gesetzlosen Räuberbanden' durch
Untertanen, die sich dem Zugriff ihrer Adelsherren entzogen.
Um sich die Vormachtstellung in Tibet zu sichern ging die Schule der Gelbmützen
zuerst ein Bündnis mit den Mongolen und später mit dem
chinesischen Kayserreich ein. Die Mongolen und später das
Kayserreich wurden zur Schutzmacht und erhielten die formale
Oberhoheit in weltlichen Fragen, im Gegenzug wurde der Dalai Lama zum
spirituellem Ratgeber der Herrscher und der tibetische Buddhismus zur
Quelle der spirituellen Erneuerung.
Dabei spielte für die Überregionale 'Diplomatie' der Mönche das Tulkusystem
eine besondere Rolle. Als Tulku werden Mönche bezeichnet, die
ein so 'reines Geiststadium' erreicht haben, daß sie, nach dem
unter anderem in tibetischen Mönchsschulen gültigen
Glauben, nach ihrem Tod willentlich in einem neuen Kind wieder geboren
werden können. Alle hohen religiösen Würdenträger
in Tibet sind Tulkus (z.B. der Dalai Lama und der Panchen Lama).
Üblicherweise wurden Bündnisse dadurch von den
buddhistischen Schulen gefestigt, daß Tulkus aus ihrer Schule
im unmittelbaren Umfeld der Herrschaftsfamilien der Bündnispartner
'entdeckt' wurden. So wurde das Bündnis mit den Mongolen dadurch
befördert das ein Neffe des Herrschers als wieder geborener Mönch
'erkannt' wurde. Beim Wechsel des Bündnispartners traten dann
verstärkt wieder geborene Mönche, Tulkus, im Umfeld des
chinesischen Herrschaftshauses auf.
Heute werden Tulkus verstärkt in den USA 'entdeckt'. Dieses Glaubenssystem gibt es
aber auch in Teilen der Mongolei und Indiens.
Anhgesichts dieser Realität davon zu sprechen, es hätte einen Nationalstaat
Namens Tibet gegeben ist absurd. Das heutige Tibet war ein
nationalstaatsfreies Gebiet.
In Tibet selbst gab es in den dreißiger Jahren eine kleine nationalistische Bewegung
in Lhasa, die vielleicht am ehesten mit der Modernisierungsfraktion
um Ata Türk in der Türkei verglichen werden könnte.
Ausgangspunkte waren ein europäisch modernisiertes Militär
und die Absolventen der einzigen nicht religösen
Ausbildungsstätte, die neu nach europäischen Vorbildern
(Großbritanien über Indien) aufgebaut worden war. Die
Bewegung sah in der Vorherrschaft der Mönche das zentrale
Entwicklungshindernis für Tibet. Diese kleine Bewegung wurde
aber im Keim von den herrschenden buddhistischen Mönchen
erstickt. Die Ausbildungsstätte wurde wieder geschlossen, Teile
des Militärs aufgelöst, weitere Modernisierungen wurden
unterbunden. Oppositionelle mußten ins Exil fliehen, einer der
bekanntesten Oppositionellen wurde eingesperrt und ihm wurden die
Augäpfel ausgerissen (eine übliche Bestrafung von der aber
nicht allzu oft Gebrauch gemacht wurde).
Zwar hatte sich Tibet nach dem Zusammenbruch des chinesischen Kayserreiches für
unabhängig erklärt, der Aufbau nationalstaatlicher
Institutionen oder einer nationalstaatlichen Politik erfolgte aber
nicht. Tibet blieb ein Territorium ohne Nationalstaat.
Als die Armee der Volksrepublik China in den 50ern
einmarschierte, wurden Teile der tibetischen Region
bestehenden chinesischen Teilstaaten zugeordnet, das vom Dalai Lama
beherrschte Gebiet Tibets erhielt als Autonome Region (TAR) einen
Sonderstatus. Innerhalb der Autonomen Region blieben die alten
gesellschaftlichen Strukturen weitgehend unangetastet, dies wurde
vertraglich festgelegt. Der Dalai Lama wurde zum Mitglied des
Volkskongresses und erhielt den Status eines der Vetreter von Mao. Da
der jugendliche Dalai Lama Sympathien für sozialistische Ideen
und für Mao hegte war die politische Linie den Dalai Lama zu
gewinnen.
Gleichzeitig wurde aber in den Regionen Tibets, die anderen Teilen es Staatsgebietes Chinas
zugeordnet waren, rigide die Politik der Kommunistischen Partei
durchgesetzt. Hier kam es nicht so sehr zu einem Konflikt zwischen
zwei unterschiedlichen staatlichen Regulationssystemen sondern zu
einem Konflikt zwischen chinesischer Staatlichkeit und
nichtstaatlichen Gesellschaftsorganisationen (vor allem tibetisch
nomadischer Bevölkerung). Als Folge flohen tausende von Nomaden
(- zum Teil Nomaden mit kriegerischer Tradition -) in die Autonome
Region und lagerten in der Nähe von Lhasa. Außerdem flohen
Teile der Oberschicht nach Lhasa. Dies führte zu einer
explosiven politischen Lage in Lhasa.
Diese Situation spitzte
sich weiter zu als die Kommunistische Partei erzwang, daß auch
innerhalb der Autonomen Region ihre tibetischen Parteikader von
leibeigenen ähnlichen Verpflichtungen ausgenommen wurden.
Konkret wurde verboten, Parteikader, die Mitglieder der tibetischen
Unterschicht waren, öffentlich zu züchtigen, falls sie
leibeigenen ähnliche Dienstverpflichtungen verweigerten. Damit
wurden die Privilegien des Adels auch in der Autonomen Region in
Frage gestellt.
Zusätzlich kam es durch ein Mißverständnis in der Bevölkerung Lhasas
zum Eindruck einer Bedrohungslage für den Dalai Lama. Dies alles
führte 1958 zum Aufstand gegen die chinesische Armee, der aber
schnell niedergeschlagen wurde. Der Dalai Lama floh zusammen mit ca.
100.000 TibeterInnen (Gesamtbevölkerung über
2 Millionen, je nach Zählweise, welche Territorien und welche
Bevölkerung Tibet zugerechnet wird) nach Indien .
Die ambivalente Haltung des Dalai Lama gegenüber der Kommunistischen Partei, und die
Fehleinschätzungen der Kommunistischen Partei, wird auch daran
deutlich, daß die chinesische Führung sich zuerst nicht
sicher war, ob der Dalai Lama von den Aufständischen entführt
worden war, oder, ob er geflohen war.
In der Folge versuchten die ExiltibeterInnen bis Anfang der 70er Jahre mit Unterstützung
des CIA die Chinesische Armee mit militärischen Mitteln zu
bekämpfen. Dies hatte zwar Abertausende von Toten zur Folge aber
keinen Erfolg.
Der Konflikt in Tibet in den 50er und 60er Jahren war kein Konflikt zwischen Staaten
sondern der typische Konflikt der Durchsetzung von
Nationalstaatlichkeit in einer nicht nationalstaatlich organisierten
Gesellschaft. Vergleichbar z.B. den Auseinandersetzungen in Nicaragua
mit der indigenen Bevölkerung.
China hat in Tibet überhaupt erst staatliche Verwaltungsstrukturen, staatliche
Schulen und Gesundheitsversorgung geschaffen und durchgesetzt.
Dieser Konflikt wäre wahrscheinlich auch dann mit vergleichbarer Brutalität
abgelaufen, hätte es sich um eine Durchsetzung
nationalstaatlicher Prinzipien durch Teile der tibetischen
Oberschicht gehandelt, z.B. wenn sich in den dreißiger Jahren
die nationalistische Militärfraktion gegen die Mönche
durchgesetzt hätte.
Dies ist nicht als Entschuldung Chinas zu verstehen, sondern als grundsätzliche
Kritik am Konzept des Nationalstaates.
Die Ohnmacht des Dalai Lama
1958 war der 14. Dalai Lama zweifelsohne auf Grund seines Alters (geb. 1935) und mangelnder
politischer Erfahrung noch ein Spielball der politischen Akteure um
ihn herum. Um die politischen Einstellungen des Dalai Lama zu
verstehen ist es wichtig seine langen Aufenthalte in Indien in jungen
Jahren und den Aufenthalt im indischen Exil und die Kontakte zur
indischen Demokratiebewegung zu sehen. Wichtige politische 'Lehrer'
waren stark vom Denken Gandhis beeinflußt.2
Aber erst nach dem Scheitern der militärischen Option konnte
sich der Dalai Lama mit dieser Politik durchsetzen und von seinem
Umfeld emanzipieren. Die Äußerungen und politischen
Handlungen des Dalai Lama der letzten drei Jahrzehnte sind klar
gewaltfrei und von demokratischen Idealen getragen. Dabei steht er
aber vor kaum überwindbaren Hindernissen.
Auf der einen Seite muß er sich mit einer jahrhundertealten Mönchsbürokratie
herumschlagen und mit der alten exilierten Nomenklatura Tibets,
gleichzeitig ist er die zentrale Identifikationsfigur für fast
alle TibeterInnen im indischen Exil und ihr Aushängeschild nach
Außen. Er ist in einer zum Teil desolaten Flüchtlingssituation
für viele vermutlich ein letzter Halt. Einer an den sich alle
klammern. Diese psychologische Abhängigkeitsstruktur muß
er bei all seinen Handlungen bedenken um Menschen nicht sinnlos zu
verletzen.
Und er steht einer erstarkenden Opposition gegenüber, die seine gewaltfreie Politik
als weltfremd diffamiert. Außerdem muß er mit dafür
sorgen die Exilgesellschaft überlebensfähig zu gestalten.
Für viele ExiltibeterInnen ist er kein gewöhnlicher Sterblicher sondern
ein wesentlicher Teil ihrer Hoffnung. Er wird damit in dieser
Exilsituation in eine Stellung gedrängt, die der eines
Sektengurus sehr nahe kommt. Seine Worte werden als Gesetz
akzeptiert, nicht weil sie begriffen werden, sondern weil er sie
ausspricht.
Für seine gewaltfreie Politik im Sinne Gandhis ist dies höchst
problematisch, zwar kann er durch seine Autorität Gewaltfreiheit
erzwingen, jedem Versuch der politischen Basisarbeit mach dieselbe
Autorität aber völlig unmöglich. Das führt dazu,
daß zur Zeit Gewaltfreiheit zwar weitestgehend eingehalten wird
aber mehr als Gebot denn als Überzeugung. Der Dalai Lama hat das
Problem, daß er selbst die, noch dazu ausgesprochen
glaubwürdige, Spitze der autoritären Strukturen ist, die er
an sich unterminieren müßte. Ähnliche Probleme
ergeben sich für die Demokratisierung, auch diese scheint in
vielen Punkten eher als Verordnung durchgeführt zu werden.
Der Dalai Lama steht damit vor einem unlösbaren Paradox, je ehrlicher er sich für
Gewaltfreiheit und Demokratie einsetzt, je mehr wächst sein
Ansehen und damit die Macht seiner Position und seine Autorität,
je mehr stehen die Projektionen der Exilgemeinde auf ihn wirklicher
Demokratie und gewaltfreiem Basisagieren entgegen.
Deutlich wird diese Einstellung der Exilgemeinde an ihren Reaktionen auf interne
KritikerInnen.3
Im indischen Exil lebende ExiltibeterInnen, die den vom Dalai Lama
vorgegeben Konsens durchbrechen, sich 'untibetisch' verhalten, müssen
mit massiver Ausgrenzung, wirtschaftlichen Boykott, und Bedrohung
ihrer Person und ihrer Familie bis hin zu körperlicher Gewalt
leben. Die meisten KritikerInnen ziehen die 'Flucht' nach Europa und
den USA vor. Der hier zitierte Autor Jamiang Norbu wurde z.B.
zusammengeschlagen, paradoxer Weise weil er sich gegen die
Gewaltfreiheit und den tibetischen Mythos von Shangrila gewandt
hatte. Dies macht überdeutlich, daß zumindest von einem
Teil der ExiltibeterInnen, Gewaltfreiheit als dogmatische Norm
begriffen wird, die dann eben auch mit Gewalt verteidigt werden kann,
und nicht als gelebte Überzeugung.
Diese Reaktionen werden vom Dalai Lama kritisiert, der Toleranz fordert, er steht diesen
Entwicklungen aber zum Teil offensichtlich ohnmächtig gegenüber.
Ein Teil des Problems ist dabei aber auch die Sicht des Dalai Lama auf den Buddhismus, er
betont sehr stark die gewaltfreien Elemente und neigt dabei dazu
andere Elemente bei Seite zu lassen. Auf der einen Seite gelingt ihm
damit zwar eine sehr klare Verknüpfung von Gewaltfreiheit und
Glauben auf der anderen Seite verklärt er aber dabei die
tibetisch-buddhistische Geschichte und verhindert damit auch eine
kritische Aufarbeitung.
Dies wird zunehmend auch von tibetischen kritischen Intellektuellen kritisiert.
Dies alles läßt leider nichts Gutes für die Zeit nach seinem Tod befürchten.
Die Gefahr ist groß, daß die Leerstelle von vielen in der
Exilgemeinde schnell wieder durch neue Autoritäten gefüllt
wird. Dies könnte zu einem ähnlichen Kippen der gesamten
Exil-Struktur hin zu destruktiven Tendenzen führen wie sie auch
bei Sekten zu beobachten ist.
Dabei gibt sich der Dalai Lama wirklich Mühe diese Strukturen zu unterlaufen. So
riet er den Mitglieder des TYC (Tibetan Youth Congress - der größten
tibetischen Exilorganisation, mit Mitgliedern die, zum Teil 90jährig,
nicht unbedingt alle jugendlich zu nennen sind -) bei einer
Veranstaltung auf der sie den Beistand des Dalai Lama für ihren
aufopferungsvollen Kampf für ein unabhängiges Tibet
erwarteten, doch bitte schön sich erst einmal um das Müllproblem
in Dharamsala (der größten Ortschaft im indischen Exil) zu
kümmern.
Der Dalai Lama tritt inzwischen auch für eine Lösung innerhalb Chinas ein, unter
Verzicht auf die Forderung nach einem unabhängigem Nationalstaat
Tibet.
Exil-Nationalismus
Dem gegenüber steht aber der Exil-Nationalismus vieler ExiltibeterInnen in Indien
der zweiten und dritten Exil-Generation, der in vielen an die
Probleme von MigrantInnen in anderen Ländern erinnert. Die
Heimatvorstellungen werden ihnen zunehmend zu einem Shangrila, zu
einem verklärtem Bild das Erlösung verspricht.4
Zwar sind sich die ExiltibeterInnen der Differenz zwischen ihrem
Tibetbild und dem heutigen Tibet zum Teil bewußt, sie schieben
diese Differenz aber den 'ChinesInnen' in die Schuhe. Eine Vorstellung
scheint vorzuherrschen, daß ohne China alles gut wird.
Letztendlich sehen sich viele ExiltibeterInnen als die wahren Bewahrer
der tibetischen Kultur. Dabei haben sich die Gesellschaften in der
tibetisch autonomen Region (TAR) und im Exil in den letzten
Jahrzehnten massiv auseinander entwickelt.
In der TAR und den angrenzenden Gebieten bestehen regionsspezifisch unterschiedliche
Kulturräume und außerdem eine starke Differenz zwischen
Stadt und Land. Städtische Jugendliche orientieren sich bzgl.
ihres Musikgeschmackes an Chinapop, eine neue Generation junger
Schriftsteller schreibt in chinesisch und hat auf chinesischen
Hochschulen studiert. Die Mehrheit liest chinesische Publikationen,
da diese im Gegensatz zu tibetischsprachigen keiner so ausgeprägten
Zensur unterliegen.
Im Exil studieren TibeterInnen hingegen in Indien mit der Orientierung am
angloamerikanischen Raum und an Bollywood und moderne Intellektuelle
schreiben Englisch. Die unterschiedlichen Kulturen Tibets wurden im
Exil nationalisiert und auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Der
Dalai Lama ist dabei der Fixpunkt exiltibetischer Identität.
Das Tibet, daß sich viele im Exil immaginieren, existiert nicht.
Dies führt im Exil aber nicht dazu, zu begreifen, daß Nation, nationale Identität,
ein Mythos ist, daß nationale Identitäten permanenten
Prozessen ihrer Reproduktion, Ausdifferenzierung, Umschrift und
Veränderung unterliegen, sondern die Erfahrung der Entfremdung
führt zu einer Radikalisierung. Um Mitglied des TYC zu werden
muß das Neumitglied die Bereitschaft erklären, für
Tibet zu sterben. In den Reihen des TYC werden Stimmen lauter, die
die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes fordern, und dabei z.B. den
Widerstand in Ost-Timor als Vorbild haben.
Die Frage, ob für die, nach wie vor überwiegend als Nomaden oder in
Subsistenzlandwirtschaft lebende, Landbevölkerung in der TAR die
Frage der Nation überhaupt eine relevante Bedeutung hat, ist
dabei offensichtlich für diese exiltibetischen 'Eliten' völlig
irrelevant, sehen sie sich doch schon als die zukünftige 'Elite'
eines tibetischen Nationalstaates.
Besonders bedenklich ist dabei eine ideologische rassistische Formierung des tibetisch
Buddhismus entlang ethnischer Linien.
Historisch war der tibetische Buddhismus nicht an eine Ethnie gebunden, im Gegenteil, er
wurde von mongolischen und chinesischen Bevölkerungsteilen und
den unterschiedlichen Ethnien der tibetischen Region vielfältig
übernommen.
Im Exil gibt es aber Stimmen, die heute in den HanchinesInnen in Tibet eine Bedrohung der
Reinheit der tibetisch-buddhistischen Kultur sehen und statt
Religionsfreiheit, die Vertreibung der HanchinesInnen, ein ethnischen
'Cleansing', fordern.
Dabei stößt auch heute die tibetisch-buddhistische Kultur bei ChinesInnen auf
Interesse. Tibet und der tibetische Buddhismus gelten auch im heutigen China
als Quellen spiritueller Inspiration. Dies ist eventuell sogar die
eigentliche Angst der Kommunistischen Partei, die ihre repressive
Haltung gegenüber dem tibetischen Buddhismus bedingt. Zu
befürchten steht, daß aber gerade dieses Moment des
tibetischen Buddhismus in fataler Ergänzung zwischen KPC und
militanten neu-tibetisch-buddhistischen RassistInnen zerrieben werden
könnte.
Dabei wird immer wieder übersehen, daß eine lebende Gesellschaft sich immer
verändert, neu definiert, streitet, mischt, tanzt, lacht.
Die Förderung des tibetischen Nationalismus durch China
Die Politik Chinas gegenüber der TAR unterliegt großen Schwankungen. Nach
der Phase der Duldung der alten Strukturen bis 1958 folgte eine Phase
der obrigkeitsstaatlichen Durchsetzung der Parteilinie bis in
ländliche Regionen mit der Folge eines Teilzusammenbruchs der
landwirtschaftlichen Produktion und Hungersnöten. Dies
eskalierte weiter in der Phase der Kulturrevolution.
Die Kulturrevolution in der TAR war aber KEINE Alleinveranstaltung der hanchinesischen Kader.
Die Gemengelage in der TAR war sehr viel komplizierter. Große
Teile der Bevölkerung wurden von der Dynamik der
Kulturrevolution erfaßt. Antichinesische Ressentiments
überlagerten sich mit Vorgaben der Kulturrevolution, mit Rache
an den ehemaligen tibetischen adeligen Herrschaftsfamilien, mit
Bereicherungen bei der Plünderung von Klöstern, mit
Widerstand gegen diese Zerstörung. usw.. Ein Großteil der
Zerstörungen der Kulturrevolution in der TAR ging von
TibeterInnen aus. Eine differenzierte Darstellung findet sich in zwei
Artikeln der Zeitschrift 'New Left Review', eine Darstellung eines
chinesischen Autors5
und eine Kritik dieser Darstellung durch einen tibetischen Autor6.
Auch der tibetische Kritiker - Tashi Tsering - bestreitet nicht, daß
TibeterInnen massiv an der Kulturrevolution beteiligt waren, er sieht
dies aber eher als Handlung unter Repression bzw. als verdeckten
nationalen Widerstand. Dies geht soweit, daß er eine Nonne die
mit ihrer Schar tibetische und hanchinesische Kader niedermetzelte
als Jean de Arc von Tibet abfeiert.
Real würde eine genaue Analyse wohl zu einem sehr komplexen Bild kommen, bei dem sich
eher kaleidoskopartig unterschiedlichste Motivationen und Repression
überlagern.
Im Nachhinein wurde von tibetischer Seite die eigene Beteiligung aber vollständig
negiert und dies ist heute Teil des antichinesischen Ressentiments.
In den 70er und 80er Jahren folgte wiederum eine sehr liberale Phase, die Kollektivierung
wurde zurückgenommen und die Klöster wieder aufgebaut.
TibeterInnen wurden gezielt in Positionen der Partei und der
Verwaltung befördert. Der Lebensstandart stieg auf ein noch nie
in Tibet vorher erreichtes Niveau. Die Lebenserwartung stieg von etwas
über 30 Jahren (im alten Tibet der Lamas) auf über 60
Jahre. Tibetisch sprachige Literatur, einschließlich
Übersetzungen von Werken der Weltliteratur und einer ganzen
Reihe von Literaturzeitschriften für junge tibetische
AutorInnen, wurde vom Staat gezielt gefördert (und gleichzeitig
kontrolliert und zensiert).
Dies führte aber in der Folge zu einem Wiedererstarken der buddhistischen Mönche.
Die chinesische Zentralregierung versuchte dem in den 80er Jahre zu
begegnen durch die Übernahme der Kontrolle über die
Finanzen der Klöster, dies wiederum führte Ende der 80er
Jahre zu einer erneuten gewaltsamen Eskalation diesmal zwischen
Mönchen und Staat. Die Liberalisierungsphase wurde beendet und
die Repression erneut verschärft.
Eine nationale Bewegung im eigentlichen Sinn existierte bis zu diesem Zeitpunkt in der TAR
aber nicht.
Die 90er Jahre bis heute waren geprägt durch eine ökonomische
Neoliberalisierung, ein im Vergleich zum größten Teil
Chinas hohes Repressionsniveau (Folter, Mord, Verschleppungen,
Diskriminierung politisch Oppositioneller) und massive Investitionen
der chinesischen Zentralregierung in den Aufbau der tibetischen
Infrastruktur und den Ausbau der Verwaltung, bei gleichzeitiger
Förderung des Studiums von TibeterInnen in Hochschulen im
chinesischen Tiefland.
Die Neoliberalisierung und Staatsrückzug bedeutete für die Bevölkerung die
Zerschlagung des vorher kostenfreien medizinischen
Versorgungssystems und die Einführung eines impliziten
Schulgeldes (offiziell sind die Schulen kostenfrei, real wird aber
ein Schulgeld für Uniformen, Essen usw. erhoben, daß für
Viele praktisch nicht bezahlbar ist).
Dies führte in der Landbevölkerung zu einer erneuten Zuwendung zur tibetischen
Medizin der Mönche und zu den Klosterschulen. Die Analphabetenrate
ist in den letzten Jahren außerdem rapide gestiegen, vor allem
bei Mädchen. Das heißt es fand eine Entstaatlichung statt,
eine Auflösung nationalstaatlicher Institutionen. Gleichzeitig
wuchs aber auf dem Land der materielle Wohlstand weiter (ausgehend
von einem niedrigem Niveau).
Für die städtische Bevölkerung ergab sich ein anderes Bild, durch die
Universitätsausbildung und staatliche Stellen bildete sich eine
tibetische bürgerliche Mittelschicht heraus. Damit entstand das
erste mal ein Subjekt nationalstaatlicher Bewegungen. Dies wurde noch
dazu durch den nationalistischen Grundton an chinesischen
Universitäten befördert, deren Hanchauvinismus
(HanchinesInnen machen ca. 90% der chinesischen Bevölkerung aus)
Studierende der Minderheiten in der Interaktion selbst in den
Nationalismus treibt. In den letzten Jahren führte das
neoliberale Dogma zudem zur Beendigung der gezielten Förderung
tibetischer Beschäftigter in der TAR, außerdem wuchs auch
hier gleichzeitig der Hanchauvinismus, dies führte zunehmend zur
Verdrängung der tibetischen Mittelschichten aus den vom Staat
kontrollierten Jobs (die über 90% aller
in Frage kommenden Stellen ausmachen, da in Tibet das gesamte
Wachstum staatsfinanziert ist). Der Anteil der TibeterInnen sank von
ca. 60% auf ca. 45 % ab innerhalb
weniger Jahre.
Gleichzeitig kam es in den Städten zu einem massiven Zuzug von HanchinesInnen.
Es war diese städtische bürgerliche Schicht, zum Teil auch in den an die TAR
angrenzenden Gebieten, die wesentlich die Proteste 2008 trug, und die
nun zum Teil auch nationalistische Parolen trägt.7
Zu sehen ist aber das diese Schicht auf Tibet gesamt gesehen nur einen kleinen Anteil der
Bevölkerung stellt.
In Artikeln der Free-Tibet-Bewegung wird immer wieder betont, daß eine Ursache
der Diskriminierung von 'TibeterInnen' dadurch verursacht würde,
daß die einwandfreie Beherrschung der chinesischen Sprache
Voraussetzung für alle höheren Stellen wäre. Dies
stimmt, würden aber die ExiltibeterInnen die Macht übernehmen,
würde Chinesisch vermutlich nur gegen Englisch ausgetauscht. Es
sprechen aber wesentlich weniger TibeterInnen Englisch als
Chinesisch, die Diskriminierung würde also vermutlich sogar
anwachsen. Im globalisierten Kapitalismus ist Zweisprachigkeit
inzwischen Pflicht, auch in Deutschland werden Menschen ohne
Englischkenntnisse massiv 'diskriminiert'. Dies gilt schon für
triviale Stellenanzeigen, z.B. auch Stellenanzeigen der Heinrich Böll
Stiftung. Ohne Englischkenntnisse ist es in Deutschland nicht einmal
mehr möglich eine Stelle im mittleren Verwaltungsdienst zu
bekommen, geschweige denn im gehobenen Dienst.
Dabei ist in Tibet aber eine wichtige Differenz zu sehen, Han-Kader müssen nicht
perfekt zweisprachig sein, ihr tibetisch ist teils mangelhaft
(entgegen anders lautenden offiziellen Bestimmungen).
Der aufkommende Nationalismus an den Rändern Chinas ist nicht unwesentlich ein
Effekt der Ablösung der sozialistischen Rhetorik durch
nationalistische Rhetorik im Zentrum des Staates. Nationalstaatliche
Identitäten sind nicht nur Aushandlungsprozesse, sondern sie
entstehen auch in der Interaktion, zum Teil erzwungener Maßen.
In den Bereichen der Gesellschaft, die zur Stärkung der
Identität als das Andere ausgegrenzt werden, bilden sich selbst
nationale Identitäten heraus. Dabei führt die neoliberale
Ideologie vom schlanken Staat zur strukturellen Entstaatlichung, deren
Effekten der Staat mit nationalistischer Rhetorik und Repression
begegnet, womit die Zerfallseffekte an den Rändern weiter
verstärkt werden.
Dazu kommen im Fall Tibets zusätzlich die Eingriffe in die buddhistische Religion,
zuletzt wurde auch das bisher gute Verhältnis zum Umfeld des
Panchen Lama belastet durch die 'Verwaltungsmaßnahmen für
die Reinkarnation lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus' (In
Kraft getreten 01.09.2007), nach der Reinkarnationen jetzt der vorab
Genehmigung durch den chinesischen Staat bedürfen. Diese
Regelung entspricht zwar älteren real praktizierten Regelungen
des Kayserreiches und der Republik China bzgl. Tibet, diese älteren
Regelungen wurden aber in der Regel nicht konfrontativ, sondern in
Absprache mit der tibetischen Geistlichkeit angewandt. So trat China
z.B. in Streitfällen als schlichtende Stelle auf, z.B. um
Korruption zu unterbinden, und die Oberhoheit Chinas wurde hier
symbolisch dargestellt.8
Die Prozedur zur Inthronisierung des zur Zeit amtierenden 14. Dalai Lama wurde z.B.
1940 vom Minister der Kommision für tibetisch-mongolische
Angelegenheiten der Republik China geleitet und die Rechtmäßigkeit
der Reinkarnation durch die chinesische Regierung bestätigt.
Im Fall der aktuellen Reinkarnation des Panchen Lama hat die chinesische Führung aber
gezielt durch die Benennung einer zweiten Reinkarnation und
Entführung des Jungen, der vom Dalai Lama als Reinkarnation
ausgewählt wurde, einen Konflikt herbeigeführt und damit
auch alle ihr nahe stehenden Gruppen der tibetischen Geistlichkeit in
die Konfrontation getrieben.
Ausblicke und DEUTSCHE Solidarität
Der Rückbau des Nationalstaates unter neoliberalen Vorzeichen ist nicht auf China
beschränkt. In vielen Staaten führt diese Entwicklung zu
ähnlichen Phänomenen. Um die Auswirkungen der
Delegitimation des Staates auf Grund seines Rückzuges
aufzufangen wird die nationalistische Propaganda verschärft.
Dazu bedarf es immer der Anderen, der nicht dazu gehörenden, die
nun wiederum selbst in neue Identitätspolitiken getrieben werden
und die Spirale weiter treiben. So führt gerade die partielle
Auflösung des Nationalstaates zu Tendenzen der
Renationalisierung. Aber hierbei handelt es sich nicht mehr um den
paternalistischen Nationalismus, den klassischen Vater Staat - '
streng aber auch sorgend' -, sondern um einen Neonationalismus, der
den 'glücklichen' alten Nationalstaat nur noch als ein
unerreichbares Shangrila beschwört, an dessen Verwirklichung uns
nur die bösen Anderen hindern.
Auch in Deutschland geht der Rückbau einher mit einer solcher Art verstärkten
nationalistischen Propaganda. Insofern liegt das tibetische Exil auch
in Deutschland, daß heißt 'die Deutschen' verhalten sich
in Teilen nicht viel anders. Deutschtümelnde Gemütlichkeit
ist nicht nur an Gesichts von Fußball und TV-B-Movies wieder
in. Es gibt regions- und bevölkerungsgruppenspezifisch
unterschiedliche solcher Shangrilabegriffe. In der deutschen
Mehrheitsbevölkerung sind es wieder einmal die Begriffe,
Deutschland, Heimat, usw. bei denen Gruppen von Menschen spontan
anfangen die Augen zu verdrehen und glückstrahlend mit dem Kopf
zu wackeln. Und auch in Deutschland sind die anderen schuld, die
ChinesInnen, die SozialschmarotzerInnen, die Heuschrecken, die den
'guten rheinischen Kapitalismus' kaputt gemacht haben.
Und mit den ChinesInnen gibt es sogar ein gemeinsames Feindbild, die, die zerstören
Shangrila.
Die deutsche Solidaritätsbewegung für Tibet gründet auch darin, daß
sich dieses Land für eine unauffällige Legitimation der
Renationalisierung des Politischen bestens eignet, eine
Renationalisierung, die dann auch als 'guter Nationalismus' auf
Deutschland übertragbar ist. Nicht zufällig gehören zu
dieser 'Bewegung' auch die KAS (Konrad Adenauer Stiftung), Roland
Koch und Angela Merkel.
Es ist falsch diese Entwicklung zu unterstützen. Vielmehr muß es darum gehen
die Neonationalisierungen der Politik zu unterbinden hier, in China,
in Tibet und in Shangrila.
Es geht darum ein nationale Grenzen sprengendes Bündnis gegen den Neoliberalismus
zu schaffen und nicht immer neue Neonationalismen zu kreieren. Und
das dies auch für Bewegungen im Trikont möglich ist zeigen
die ZapatistInnen.
Problem Quellenlage
Zum Abschluß noch eine Bemerkung zum Problem der Quellenlage. Sowohl von chinesischer
Seite9
als auch von Seiten der Free-Tibet-Bewegung10
wird relativ einseitig und propagandistisch die Realität nicht
beschrieben, dazu kommen dann noch Verschwörungstheorien von
Ex-AnhängerInnen des Dalai Lama (Trimondi)11
und simplifizierende Kritiker, für die die Welt noch einfach in
Gut und Böse zu teilen ist (Goldner, Parenti, u.a.)12.
Ich habe mich hier deshalb primär auf wissenschaftliche Texte
(Anand, Brauen, Dreyfus, Lopez, Piltz, u.a.)13
und Texte oppositioneller (zur Linie der tibetischen Exilregierung)
tibetischer Exilanten (Shakya, Norbu, u.a.)14
gestützt. Ich habe diese Texte hier zum Teil erheblich gegen den
Strich gebürstet, ausgehend von meinem Standpunkt als Anarchist
und Pazifist. Das heißt dieser Text repr�sentiert meine
Interpretation und setzt sich kaleidoskopartig aus den Eindrücken
vieler Texte zusammen.
Ein weiteres Grundproblem ist, daß die Repression in der TAR eine offene
Diskussion dort unmöglich macht. Insofern ist es sehr schwierig
zu sagen, wo die unterschiedlichen Interessen der dort lebenden
Menschen liegen.
Texte zur Kritik von Militarismus, Sexismus und Nationalismus - J.Djuren
Quellen - Auszug -:
- Anand, Dibyesh, University of Bath - A Contemporary Story of 'Diaspora' The Tibetan Version -
in: Diaspora, A Journal of Transnational Studies - No. 12/2 -
Toronto, 2003 - Seite 211 bis 229 -
http://staff.bath.ac.uk/ecsda/DAnand-DiasporaArticle.pdf
"However, in the case of the Tibetans, nationalism is a product of the diaspora. Imagining Tibet as a nation is, to a large extent, a post-exilic phenomenon .."
- Anand, Dibyesh, University of Bristol - (Re)imagining nationalism: identity and representation in the Tibetan diaspora of South Asia - in: Contemporary South Asia - No. 9(3) - 2000 - Seite 271 bis 287 - http://staff.bath.ac.uk/ecsda/DAnand-Reimagining%20nationalism.pdf
- Anand Dibyesh, University of Bath - Western Colonial Representations of the Other: The Case of Exotica Tibet - in: New Political Science - Volume 29, No. 1 - March 2007 - http://staff.bath.ac.uk/ecsda/DAnandNPSArticleMar07.pdf
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- Anderson, Benedict - The Nation as Imagined Community - http://www.nationalismproject.org/what/anderson.htm
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- Brauen, Martin - Traumwelt Tibet - 2000, Bern
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- Fisher, Andrew Martin - Urban Fault Lines in Shangri-La: Population and economic foundations of interethnic conflict in the Tibetan areas of Western China - Working Paper Crisis States Programme, No. 42 - June 2004, Development Research Centre, DESTIN, LSE, London - http://www.crisisstates.com/download/wp/wp42.pdf
- Fisher, Andrew Martin - Subsistence Capacity: The comodification of rural labour reaxamined trough the case of Tibet - Working Paper Series (LSE) - No. 06-75 - 2006, LSE London - http://www.lse.ac.uk/collections/DESTIN/pdf/WP75.pdf< -Goldner, Colin - Mönchischer Terror auf dem Dach der Welt - in: Junge Welt - Berlin, 26.3.2008/27.3.2008
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- Trimondi, Victor und Victoria - The Shadow of the Dalai Lama - 2003 -
http://www.trimondi.de/SDLE/Contents.htm
Texte zur Kritik von Militarismus, Sexismus und Nationalismus - J.Djuren
Fußnoten
- 1 - Brauen, Martin -Traumwelt Tibet - Wien, 2000
- 2 - Dreyfus, Georges -Are We Prisoners of Shangrila? Orientalism, Nationalism, and the Study of Tibet Journal of the International Association of Tibetan Studies - 1, October 2005 - http://www.thdl.org/collections/journal/jiats/index.php?doc=dreyfus01.xml
- 3 - Piltz, Ase - Being Tibetan, Internet and Public Identity among Tibetan Youth - in: anpere - 2006 / 8 - http://www.anpere.net/2006/8.pdf
- 4 - Dibyesh, Anand - (Re)imagening nationalism: identity and representation in the Tibetan Diaspora of South Asia - in: Contempory South Asia, 9(3) - Seite 271 bis 287 - 2000 - http://staff.bath.ac.uk/ecsda/DAnand-Reimagining%20nationalism.pdf
- 5 - Lixiong, Wang - Reflections on Tibet - in: New Left Review, No. 14, March/April 2002 - http://www.newleftreview.org/?view=2380 -
- 6 - Shakya; Tsering - Bloodin the Snows - in: New Left Review, No. 15, May/June 2002 - http://www.newleftreview.org/?view=2388
- 7 - Shakya, Tsering - Tibetan Questions - in: New Left Review, 51 - May/June 2008 - http://www.newleftreview.org/?view=2720
- 8 - Heberer, Thomas - China erläßt die Verwaltungsmaßnahmen für die Reinkarnation lebender Buddhas des tibetischen Buddhismus', Analyse vor dem allgemeinem Hintergrund der Tibet-Frage - in: Zeitschrift für chinesisches Recht, Heft 1/2008, 15.Jg - Seite 1 bis 9 - http://www.asienhaus.de/public/heberer-tibet-032008.pdf
- 9 - Als Beispiel ein Originalartikel: Da Siping; Wangdui und Jianping, Zhang - Galsang Yexei: Ein Tibetologe aus den Reihen der Waisen - in: Beijing Rundschau - http://www.bjreview.cn/g-br/2005-48/2005.48-c-t-1.htm
- 10 - Als Beispiel ein Originalartikel: Norbu, Tsewang - Berlin 1936 / Beijing 2008: Viele verblüffende Parallelitäten - 7.8.2008, Berlin - http://www.tibet-protestival.de/downloads/7.8.08%20TN-Rede%20in%20Berlin.pdf
Ein Artikel zur Kritik des Free-Tibet-Movements: O'Neill, Brendan - The 'Free Tibet' movement's use of racial stereotypes against the Chinese people - in: Spiked - 2008 -
http://www.spiked-online.com/index.php?/site/article/4975/
- 11 - Als Beispiel ein Originalartikel: Trimondi, Victor und Victoria - The Shadow of the Dalai Lama - 2003 - http://www.trimondi.de/SDLE/Contents.htm -
- 12 - Z.B. Michael Parenti und Colin Goldner - z.B. http://www.michaelparenti.org/Tibet.html
- 13 - Z.B. Texte von Donald Lopez, Martin Brauen, u.a.
- 14 - Z.B. Tsering Shakya, Jamyang Norbu, Dawa Norbu, u.a. - z.B. http://www.march10.org/images/dawa.pdf
- http://www.tibet-cafe.net/eu/content/view/1237/ -
Texte zur Kritik von Militarismus, Sexismus und Nationalismus - J.Djuren
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Impressum: Paula & Karla Irrliche
Zuletzt aktualisiert 30.10.14
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