Annemarie Arndt

 



Annemarie Arndt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bleib sauber!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theaterstück in zwei Aufzügen

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 













Die Personen des Stückes

 

 

 

 

 

Prolog & Zwischenspiel

 

Die Frau, Der Mann

 

1. & 2. Aufzug

 

Erster Herr, Zweiter Herr, Erste Dame, Zweite Dame, Das Mädchen, Der Junge, Die Frau, Der Mann, Nadja, Zwei junge Frauen, Zwei ältere Herren, ÄrztInnen, PflegerInnen

 

 

 


 















Prolog

 

 

Vor dem geschlossenen Vorhang ein putzender Mann und eine Frau, die die Sauberkeit nachprüft, hier und da die Nase rümpfend.

 

 

Die Frau:       Das Kaffeekochen wäre nicht nötig gewesen.

 

Der Mann (das Putzen intensivierend): Aber das hat doch gar keine Mühe gemacht.

 

Die Frau:       Ich wollte nur sagen, daß Sie sich nicht verpflichtet fühlen müssen.

 

Der Mann: Aber das habe ich doch gerne getan - und bei den vielen jungen Leuten, die hier arbeiten.

 

Die Frau:       Ich will Sie nur nicht überfordern. Wir wissen, was wir an Ihnen haben.

 

Wie geht es mit den Kindern?

 

Der Mann: Der Große ist jetzt bei der Bundeswehr. Da sorgen sie für Ordnung.

Das kann dem nicht schaden.

 

Die Frau:       Wieso, hatten Sie mit ihm Probleme?

 

Der Mann: Nein. - Er war schon immer sehr sauber. Mit einem Jahr war er trocken.

Aber Sie wissen ja, wie Jungs so sind.


 















1. Aufzug

 

 

Ein Raum halb Kinderzimmer halb Abstellkammer in einer oberen Etage eines Hauses mit einer offenen Tür. Alte Matratzen, Decken und Kissen liegen herum. An einer Wand steht ein Kleiderschrank und ein Bett, unter dem Bett eine Kiste. Ein nach innen zu öffnendes Fenster an einer Seite.

 

Es ist Nachmittag - Abend, von irgendwoher kommen Stimmen, aus einiger Entfernung. Zu sehen ist niemand.

 

 

Erster Herr: Was die Gegenkandidatin zum Oberbürgermeister hat als Putzfrau kandidiert?

 

Zweiter Herr: Ja, auf den Plakaten, mit Schrubber. 'Den Müll aus der Stadt kehren.'

 

Erster Herr: Na meiner Putzfrau würde ich das auch nicht überlassen - kein Wunder, daß sie da verloren hat.

 

Erste Dame: Mann hat ja gar keine Lust mehr einzukaufen, überall wird man angebettelt.

 

Zweite Dame: Ich geh schon gar nicht mehr in die Innenstadt.

 

Erster Herr: In Leipzig ist es jetzt sauber, gar kein Vergleich zu hier.

 

Zweiter Herr: Zu DDR-Zeiten war das richtig dreckig - unglaublich dreckig und schäbig.

 

Erste Dame: Die Ausländer meinen ja auch, sie könnten überall alles hinwerfen.

 

Zweite Dame: Die haben das halt nicht gelernt.

 

Zweiter Herr (süffisant laut): Ja, da müssen wir sie wohl mal aufklären.

 

Zweiter und erster Herr lachen.

 

 

Eine Tür wird geschlossen, eine andere geöffnet - Schritte.

 

 

Eine näherkommende Frauenstimme: So, hier könnt ihr spielen, und vertragt Euch. -

Und Ihr räumt alles wieder ein, was Ihr auspackt.

 

 

Ein Mann und eine Frau in Kinderkleidung stürmen auf die Bühne.

 

 

Der Junge zieht unter denm Bett eine Kiste hervor: Du bist doof.

 

Das Mädchen: Ph!

 

 

Sie öffnen einen Schrank mit alten Kleidern. Beide suchen eine Weile. Dann hat der Junge eine Schirmmütze und einen Stock gefunden.

 

 

Der Junge: Ich bin Polizist.

 

Das Mädchen: Polizisten haben eine Uniform.

 

Der Junge: Die Geheimpolizei nicht.

Wenn du nicht tust, was ich sage, verhafte ich dich.

 

Das Mädchen: Ach ja.

 

Der Junge: Du mußt tun, was ich sage.

 

Das Mädchen: Und sonst?

 

Der Junge: Kommt der Stock zum Einsatz.

 

Das Mädchen: Dann sperr ich dich in den Schrank. - Außerdem bin ich eine Dame.

 

 

Sie zieht ein Kleid hervor und Stöckelschuhe.

 

 

Der Junge: Du bist gemein.

 

 

Das Mädchen hat sich Kleid und Stöckelschuhe angezogen und schreitet durch das Zimmer.

 

 

Der Junge stellt sich ihr mit dem Stock fuchtelnd in den Weg: Halt, hier dürfen Sie nicht lang.

 

 

Das Mädchen ignoriert ihn.

 

 

Der Junge: Du bist gemein.

 

Das Mädchen: Ich bin eine Dame und kleine Polizisten liegen mir zu Füßen. - Sagen Sie, Herr Polizeimann, wo bekomme ich hier Lakritze?

 

Der Junge wendet sich ab, geht in die andere Ecke des Zimmers, und beginnt den Verkehr zu regeln: Halt - Stop - Weiter-

fahren -

Sie da, haben Sie keine Augen im Kopf. Es ist rot. Sie sind verhaftet. Die Verkehrsregeln gelten auch für Türken.

 

 

Das Mädchen ist weiter als Dame hin und her gegangen, schnäuzt sich und läßt das Taschentuch fallen, und fängt auch an zu reden.

 

Beide parallel.

Beide lauter werdend.

 

 

Das Mädchen: Ach, das ist doch aber nicht nötig.

 

Das ist sehr liebenwürdig von Ihnen.

 

Ach, das Kleid ist doch nicht der Rede wert.

 

Nein wirklich?

 

 

Das Mädchen lacht

 

 

Das kann ich Ihnen aber nicht anvertrauen.

 

Sie würden mich gerne zu einer Lakritz einladen.

 

Aber nur eine.

 

 

Hier sitzt man schön.

 

Ja, das Wetter.

 

Der Junge regelt weiter den Verkehr: Wenn Sie nicht gehorchen

muß ich deutlicher werden.

Los, jetzt.

 

 

Können sie nicht hören!

 

 

Der Junge prügelt mit dem Stock auf das Bett ein - unartikulierte Laute von sich gebend.

 

 

 

 

Das Mädchen schubst den Jungen hin. Der Junge fängt an zu schreien.

 

 

Der Junge: Das sag ich Mama!

 

 

Während der Junge schmollend in der Ecke sitzt, stolziert das Mädchen wieder durch das Zimmer.

 

 

Das Mädchen: Das ist zu liebenswürdig von Ihnen.

 

Aber, nicht doch. Sie machen mich ja ganz verlegen.

 

Meinen Arm?

 

Aber ja.

 

Ach.

 

 

Die Tür geht auf und eine erwachsene Frau kommt herein, an der Hand ein Kleinkind im Strampelanzug(auch eine erwachsene Schauspielerin). Um den Hals hat es einen Riesenschnuller.

 

 

Die Frau: Na spielt ihr, schön - das ihr euch so gut versteht.

 

 

Der Junge: Ich bin ein Polizist.

 

Die Frau: Das ist ein solider Beruf.

 

 

Der Junge regelt wieder den Verkehr.

 

 

Das Mädchen: Ich bin eine Dame.

 

Die Frau: Weißt Du denn, wie sich Damen benehmen?

 

 

Das Mädchen stolziert im Zimmer auf und ab.

 

Die Frau lacht.

 

 

Die Frau: Ich habe euch die kleine Nadja mitgebracht. Ist sie nicht süß. Sie möchte auch spielen.

 

Ich gehe dann mal wieder nach unten.

 

 

Die Frau geht ab.

 

 

Der Junge und das Mädchen begutachten das Kleinkind. Das Kleinkind, noch immer an der gleichen Stelle sitzend, schafft es nicht beide im Blick zu behalten.

 

 

Das Mädchen stupst das Kleinkind mit dem Fuß an: Kannst du sprechen?

 

 

Das Kleinkind starrt ängstlich zum Mädchen.

 

 

Der Junge tritt fester zu: Ob du sprechen kannst?

 

 

Das Kleinkind starrt nun zum Jungen, dann wieder zum Mädchen.

 

 

Das Mädchen kniet sich hin: Sag Mama - Mama - Mama - Mama - Mama

 

 

Das Kleinkind lacht das Mädchen an, spuckt dann, Speichel tropft.

 

 

Das Mädchen: Bist du blöd?

 

 

Das Kleinkind lacht.

 

 

Das Mädchen: Sag, ich bin blöd - blöd - ja, blöd.

 

Das Kleinkind: Löd.

 

Der Junge herumspringend: Blöd ist das Kind, blöd, blöd.

Blöd ist das Kind, blöd, blöd.

 

Das Mädchen: Halt die Klappe, du erschreckst es.

 

 

Das Mädchen versteckt den Schnuller immer hinter dem Kopf des Kleinkindes, das hilflos den Kopf wendet.

 

 

Das Mädchen: Na, such den Schnuller - such!

 

Der Junge: Such!

 

Das Mädchen und der Junge werfen sich den Schnuller abwechselnd zu und tanzen im Kreis um das Kleinkind.

 

 

Beide schreien abwechselnd und überlappend: Such - Such den Schnuller - Such - .. .

 

 

Das Kind versucht den beiden mit dem Kopf zu folgen, wird immer ängstlicher und fängt zum Schluß an zu heulen.

 

 

Der Junge wirft den Schnuller in eine Ecke: Hol ihn dir!

 

Das Mädchen: Ach dazu ist es zu blöd.

 

 

Sie tritt das Kleinkind nochmal, dann kniet sie sich nieder und streichelt das Kind. Dabei zieht sie immer wieder an Haaren, Ohren und kneift in das eine oder andere Körperteil des Kindes.

 

Schritte auf der Treppe sind zu hören. Die Kinder wenden den Kopf zur Tür. Ein Mann tritt ein.

 

 

Der Mann: Na, spielt ihr schön.

 

Dann wendet sich der Mann zum Kleinkind: Na, was hat denn das kleine Scheißerle?

 

Er sieht den Schnuller in der Ecke: Ach hast du den Schnuller verloren

 

Er hockt sich neben das Kleinkind und knufft es: Da mußt du besser aufpassen und ihn nicht immer wegwerfen.

Er holt den Schnuller und stopft ihn dem Kleinkind in den Mund. Das Kind heult noch mehr.

 

 

Der Mann: Ach da ist er doch wieder. Ist doch alles wieder gut.

 

Er geht durch das Zimmer zu den Kindern: Ich hab euch auch etwas mitgebracht.

 

 

Er wirft dem Mädchen eine Tüte Lakritze und dem Jungen eine Tüte Gummibären zu. Beide reißen die Tüten sofort auf und stopfen die Sachen in sich hinein.

Der Mann greift sich das Kleinkind und schaukelt es ein wenig auf dem Schoß - dann wirft er es hoch und fängt es kurz vor dem Boden auf.

 

 

Der Mann lacht das Kleinkind an: Wenn du mir zu schwer wirst, lass ich dich fallen.

 

 

Er setzt das Kleinkind wieder an seinen alten Platz. Die Kinder stopfen immer noch Lakritze und Gummibären in sich hinein.

 

 

Der Mann: Ich muß wieder nach unten. Wenn ihr noch mehr wollt, müßt ihr runterkommen.

 

 

Der Mann schaut die Kinder etwas wehmütig noch mal an, dann verläßt er den Raum.

 

 

Das Mädchen greift sich den Schnuller und schlenkert ihn, durch den Raum stolzierend, wie eine Handtasche hin und her: Dieses Jahr ist diese Form besonders modisch.

 

Der Junge: Ich will auch

 

 

Er greift nach dem Schnuller, beide zerren an dem Schnuller.

 

 

Das Mädchen: Nein, laß sein!

 

Der Junge: Ich auch!

 

 

Der Junge und das Mädchen rangeln um den Schnuller.

 

 

Das Mädchen: Gib her.

 

Der Junge: Du hast ihn schon gehabt.

 

 

Das Mädchen schubst den Jungen hin.

 

 

Der Junge: Du bist gemein.

 

Das Mädchen schnuppert in der Luft: Es stinkt

 

Der Junge zieht auch die Luft durch die Nase ein: Es stinkt.

 

Das Mädchen schaut den Jungen an: Es stinkt erbärmlich.

 

 

Der Junge schaut sich hilfesuchend um, schaut dann zum Mädchen.

 

 

Der Junge: Wer es zuerst gerochen, dem ist es aus dem Arsch gekrochen. - Der Junge lacht und wiederholt immer wieder Teile des Satzes während er durch das Zimmer tanzt: Wer es zuerst gerochen, dem ist es aus dem Arsch gekrochen. .. .

 

Das Mädchen schnüffelt im Zimmer und zeigt dann mit dem Finger auf das Kleinkind: Das stinkt.

 

Das Mädchen geht zum Kleinkind hin und zerrt am Zeug: Es ist nicht dicht.

 

Der Junge: Die können nur Fressen und Scheißen.

 

Das Mädchen: Es ist dreckig.

 

Der Junge: Mädchen sind schmutzig.

 

Das Mädchen: Ich bin eine Dame. -

Das Mädchen wendet sich vom Kleinkind ab: Und das ist Aufgabe der Polizei.

 

Der Junge spricht in den Raum: Ordnung muß sein. - Dann wendet sich der Junge zum Kleinkind: Wenn es nicht sofort aufhört zu stinken, muß ich es verhaften.

 

Das Mädchen: Sperr es in den Schrank.

 

 

Der Junge zerrt an dem Kleinkind, kommt aber nicht so recht voran. Das Mädchen tritt hinzu , drängt ihn beiseite und zieht an einem Arm. Das Kleinkind fängt an zu schreien.

 

 

Der Junge tritt das Kind: Ruhe!

 

Das Mädchen: Los, faß an.

 

 

Gemeinsam schleifen sie das wimmernde Kleinkind zum Kleiderschrank und verstauen es dort.

 

Sie stehen da und schauen sich an.

 

 

Das Mädchen schaut nach draußen: Wir müssen uns ein Haus bauen.

 

Der Junge weist auf einige alte Matratzen: Da sind Wände.

 

Das Mädchen: Schaff sie darüber und die Decke da, und die Kissen.

 

 

Das Mädchen weist auf eine alte Decke und Kissen.

 

 

Während der Junge das Haus baut tanzt das singend Mädchen um ihn herum:

Raffe, schaffe Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

Raffe schaffe, Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

..

Ab und an zwischendurch bleibt sie stehen und erteilt Anweisungen:

 

Die Wand ist nicht gerade.

 

Die Decke hängt durch.

 

Das ist zu weit auseinander.

 

Paß doch auf.

 

Dann tanzt und singt sie weiter: Raffe schaffe, Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

..

Auf einmal bleibt sie stehen und schweigt, der Junge unterbricht die Arbeit.

 

 

Das Mädchen: Es stinkt immer noch.

 

Der Junge: Es stinkt.

 

Das Mädchen: Die Strafe war nicht hart genug. Wir müssen es woanders einsperren.

 

Der Junge schaut sich suchend um: Vor die Tür geht nicht.

 

 

Das Mädchen und der Junge schauen sich beide um, ihr Blick bleibt am Fenster hängen.

 

 

Beide zusammen: Es muß hier raus.

 

Das Mädchen: Frische Luft wird ihm gut tun.

 

 

Sie laufen beide zum Schrank und reißen die Türen auf. Das Kleinkind, in diverse heruntergerissene Kleidung verstrickt, lächelt sie an.

 

 

Das Mädchen: Du fäßt hinten an.

 

 

Der Junge und das Mädchen schleifen das Kleinkind zum Fenster, zwischendurch lassen sie es fallen, heben wieder an.

 

 

Das Mädchen macht das Fenster auf: Frische Luft. - Und dann leicht affektiert: Wie das riecht.

 

Der Junge: Ich rieche nichts.

Das Mädchen: Faß an.

 

 

Sie hiefen das Kind auf den äußeren Fenstersimms und schließen das Fenster. Das Kind zieht sich in eine Ecke des Simmses zurück.

 

Der Junge läuft zum Haus und läßt sich hineinfallen.

 

 

Das Mädchen: Du hast es kaputt gemacht.

 

 

Beide prügeln sich, ein Kissen fliegt gegen das Fenster, das Kleinkind verschwindet nach unten aus dem Blickfeld.

 

 

Das Mädchen: Das baust du wieder auf.

 

Der Junge: Du bist gemein.

 

 

Der Blick des Jungen streift das Fenster, bleibt daran hängen, starrt. Das Mädchen folgt dem Blick.

 

 

Der Junge: Es ist weg.

 

Das Mädchen: Schau nach.

 

Der Junge geht zum Fenster, öffnet es und schaut raus: Es liegt unten.

 

Das Mädchen: Ein dummes Kind.

 

Der Junge: Ich glaube es ist kaputt.

 

Das Mädchen spricht in den Raum hinein: Es wollte ja nicht mit uns spielen. - Das Mädchen zum Jungen gewandt: Bau das Haus wieder auf.

 

Während der Junge das Haus wieder aufbaut, fängt das Mädchen wieder an zu tanzen und zu singen: Raffe, schaffe Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

Raffe schaffe, Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

..

 

 

Der Vorhang fällt

 

 

 

Schluß erster Aufzug

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pause

















 

Zwischenspiel

 

 

Der Vorhang ist noch geschlossen, von hinten kommen der Mann und die Frau aus dem Prolog in den Zuschauerraum.

 

 

Die Frau: Hier stinkt es nach Schweiß - vergessen Sie bitte nicht zu lüften.

 

Der Mann wischt über einige Armlehnen: Ja, hier sind auch überall Fettflecke, aber die werde ich beseitigen.

 

Die Frau zeigt in den Saal: Da drüben - einfach weg damit.

 

 

Der Mann geht durch die Reihen und wischt.

 

 

Die Frau geht ab, zu sich selbst redend: Das ist eklig - widerlich - Menschen - als ob das mit teurem Parfum zu kaschieren wäre.

 

 

Auch der Mann geht putzend aus dem Zuschauerraum ab.

Der Vorhang öffnet sich

















 

2. Aufzug

 

 

Auf der Bühne ein großer Raum, eine Art moderner Salon - eine Party. An den Seiten Türen, geöffnete Glastüren führen in die Sommernacht. Im Hintergrund auf einem abgeräumten Tisch, zwischen dem Buffet, liegt das Kind und wird von ÄrztInnen und PflegerInnen ausgenommen - ab und an zuckt es. In einer Ecke spielen die Kinder.

 

Im Raum bewegen sich Wein trinkende Damen und Herren und unterhalten sich gedämpft. Es treten je Einzelne oder Gruppen nach vorne, um sich lauter zu unterhalten.

 

Zwei Damen und ein Herr nähern sich dem Bühnenrand.

 

Die erste Dame: Ist denn das nötig. Können sie das nicht woanders machen?

 

Der Herr: Nur wenn die Nierchen ganz frisch sind, haben sie noch einen Wert.

 

Die erste Dame: Aber es ist pietätlos.

 

Die zweite Dame: Wer weiß, vielleicht hat dieser tragische Unfall so noch sein Gutes und ein kleiner Einstein wird dadurch gerettet. - Zur ersten Dame gewandt: Nehmen Sie doch noch etwas von den Muscheln.

 

 

Die drei begeben sich zum Buffet.

 

Ein Herr und eine Dame haben sich tanzend dem Bühnenrand genähert.

 

Die Dame: Für die Kinder muß es schrecklich gewesen sein, dies mitanzusehen.

 

Der Herr: Sie haben es aber gut verdaut - es sind gesunde Kinder.

 

Die Dame: Ja, sie spielen schon wieder - könnten wir uns doch ihre Unschuld bewahren.

 

Der Herr: Die Mutter von Nadja ist zusammengebrochen.

 

Die Dame: Sie trifft wohl auch eine Mitschuld. Das Kind muß doch wissen, daß es nicht auf Fensterbretter klettern darf.

 

Der Herr: Moderne Erziehung. Sehen sie sich die beiden anderen Kinder an, die sind gerade gewachsen - denen passiert sowas nicht.

 

Die Dame: Ein tragisches Schicksal, aber sie haben Recht, die Mutter ist schuld.

 

Alle auf der Bühne versammelten beginnen im Chor als Canon zu intonieren: Die Mutter, die Mutter, die Mutter ist schuld. Die Mutter, die Mutter ist schuld.

 

 

Dann stoßen sie alle an und trinken.

 

 

Der Herr: Kinder brauchen klare Bezugsgrößen. Man muß ihnen zeigen, woran sie sind.

 

Die Dame: Ich möchte nicht mit der Mutter tauschen.

 

Der Herr: Sie sind doch aus einem ganz anderen Stoff. - Seine Hand gleitet über ihren Rücken: Kommen Sie.

 

 

Der Herr führt die Dame nach draußen. Sie verschwinden aus dem Blick.

 

 

Einer der Ärzte ist lautstark vernehmbar: Schwester, was ist das hier für eine Sauerei. Geben sie mir das Messer dahinten.

 

 

Eine der Schwestern holt vom kalten Buffet das Tranchierbesteck.

 

 

Zwei ältere Herren kommen durch eine offene Seitentür auf die Bühne - offensichtlich vom Clo

 

 

Der erste Herr: Das kommt davon.

 

Der zweite Herr: Und die Mütter müssen ja unbedingt arbeiten.

 

Der erste Herr: Das der Staat bei sowas nicht eingreift, sonst sind die doch immer gleich da.

 

Der zweite Herr: Die organisierte Beschäftigung Jugendlicher früher hatte auch ihre Vorteile. Das war im Faschismus gar nicht so schlecht. Wir sind wenigstens nicht auf dumme Gedanken gekommen.

                        Viele Jugendliche wissen doch gar nichts mit sich anzufangen.

 

Auf Fenstersimsen rumklettern.

 

Die brauchen jemanden.

 

Sonst machen die Randale und stecken irgendwas an, und dann ist das Geschrei groß.

 

Der erste Herr: Da muß erst was passieren. Aber glauben Sie mal nicht, daß sich was ändert.

 

Am liebsten würden die jungen Frauen doch gleich abtreiben.

 

Der zweite Herr begutachtet zwei junge Frauen, die sich dem Bühnenrand nähern: Na ja,

man kann es ja verstehen, wenn man die jungen Dinger so sieht. Wir haben früher auch nicht lange gefackelt. - Er lacht.

 

Der erste Herr: Von uns wollen die doch sowieso nichts mehr.

 

 

Die beiden jungen Frauen haben jetzt den Bühnenrand erreicht.

 

 

Die erste Frau: Ein schöner Abend.

 

Die zweite Frau: Ja, wenn der Unfall nicht wäre.

 

Die erste Frau: Wir sollten ihn uns nicht verderben lassen.

 

Die zweite Frau lacht: Aber, aber, das wichtigste im Leben einer Frau sind die Kinder.

 

Die erste Frau auch lachend: Ja sieh sie dir an, unsere Zukunft.

 

Von der Seite kommt das Mädchen seilspringend und singend:

Raffe, schaffe Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

Raffe schaffe, Häusle baue,

tapfer in die Zukunft schaue.

..

 

Der Junge folgt ihr auf einem Steckenpferd das er mit Schlägen und Schreien antreibt:

Vorwärts.

 

Dummes Tier!

 

Mach das du vorankommst!

 

Du kriegst keinen Hafer.

 

..

 

Der Vorhang fällt hinter den beiden, so daß sie allein zurückbleiben. Sie irren ein wenig umher, bevor sie seitwärts abgehen, immer noch singend und schreiend.

 

 

Schluß

 

 




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Theaterstücke & Kindheit









Impressum: Paula & Karla Irrliche











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Zuletzt aktualisiert 30.10.14





Kindheit. Bleib sauber! - Theaterstück von Annemarie Arndt über; politische privat politisch Politik Theater Stücke Widerstand Gegenwehr Theaterstück Sexismus sexistisch Antikapitalismus Kapitalismus Kritik Mord Antiautoritär Sexuelle Gewalt Familie Kinder

























Theaterstücke & Kindheit


Kindheit, Zeit der Unschuld

10 jährige Kinder foltern 8 jährigen Spielkameraden.
KindersoldatInnen und Kinderprostitution gehören zum strukturellen Alltag des Kapitalismus.


Im Mythos Kindheit verdrängt die Gesellschaft die Gewalt, die sie alltäglich bereit ist den Kindern in ihrer Kindheit anzutun. Eine Gewalt, die gerade auch von Kindern untereinander reproduziert wird.

Ein Theaterstück über Kindheit, sollte als Theaterstück diese Verdrängung, diese Lüge, aufdecken.
Kindheit in Film und Theaterstücken ist aber meist mehr ein Theaterstück, weit entfernt von realen Verhältnissen der Kindheit.


Kindheit, Zeit des Erwachens

In Umfragen ist die Angst vor Arbeitslosigkeit die größte Angst von Kindern.
Sexistische Werbung, die Frauen auf Sexualobjekte reduziert, gehört zum Alltag von Kleinkindern.


Der Mythos Kindheit behauptet, es würde alles getan um Kinder in ihrer Kindheit vor Bedrängungen, die sie überfordern, zu schützen. Real ist Kindheit im Kapitalismus eine Form brachialer Sozialisation hin zum funktionierenden Marktding, daß schon als Kind lernt sich selbst zu Markte zu tragen.

Ein Theaterstück über Kindheit müßte diese realen Gewaltverhältnisse analysieren und als Theaterstück den Zusammenhang, von Gewalterfahrungen in der Kindheit und ihrer Funktionalität für die kapitalistische Sozialisation, herausarbeiten.
Kindheit in Film und Theaterstücken wird aber meist so dargestellt, als hätten Kindheit und Kapitalismus nichts mit einander zu tun, als wäre Kindheit immer schon diese Form der Sozialisation gewesen.


Kindheit, Zeit der Spiele

7 jähriges Kind mit 48 Stundenwoche und Terminkalender.
Samstagsarbeit für SchülerInnen soll in NRW wieder eingeführt werden.
Schule als Zwangsarbeitslager.


Der Mythos Kindheit erweckt den Anschein, Kinder hätten heute unendlich viel mehr Zeit als ihre Eltern sie als Kinder gehabt hätten. Real wird Kindheit in einer Welt, in der die Verwertung am Markt zum Fetisch geworden ist, immer mehr zu einer Zeit, der gewaltsamen Optimierung der �Kleinen', um ihre Verwertung als Arbeitskraft im Interesse der Konzerne sicherzustellen.

Ein Theaterstück über Kindheit müßte die Realität dieses Ausbildungsterrors, der reale Bildung, wie sie in freier Interaktion erworben wird, zunehmend verhindert, thematisieren und als Theaterstück auf die Bühne bringen.
Kindheit in Film und Theaterstücken läßt aber diese Realität der Kindheit meist außen vor, bzw. ist selbst Teil des kapitalistisch propagandistischen Tugendterrors.


Kindheit, Zeit des Lachens

Depressionen und psychische Erkrankungen bei Kindern nehmen zu,
SchülerInnenselbstmorde, Eßstörungen und Haßgefühle.


Im Mythos Kindheit ist Kindheit, bis auf äußerlich hereinbrechende Katastrophen, eine Zeit der Unversehrtheit. Real ist Kindheit aber als Gewaltverhältnis strukturiert, bei dem Kinder weitestgehend zwei Personen (Eltern) willkürlich ausgeliefert sind, zwei Personen, die selbst wieder massiv unter Druck gesetzt werden funktionsfähige MitbürgerInnen im Sinne des Kapitals zu produzieren.

Ein Theaterstück über Kindheit müßte neben dem Mythos der Kindheit auch den Mythos der Elternschaft und Mutterliebe, bzw. Elternliebe, als das Entkleiden, was er ist, der Keilriemen der dieses Gewaltverhältnis am Laufen hält.
Kindheit in Film und Theaterstücken verkauft uns Kindheit als Seifenoper und nicht als kritisches Theaterstück.


Kindheit, Zeit der Freiheit

Welche andere Gesellschaft bringt Ihren Kindern unter Androhung der Strafe der Verstümmelung und des Todes das Regelbefolgen bei? Der Autoverkehr als sozialisatorische Instanz der Kindererziehung weist auf die ganze Verachtung, die diese Gesellschaft Kindern entgegenbringt.
Und der postfaschistische Populismus setzt dies fort, mit der Forderung von 0-Tolleranz für jugendliche Normabweichungen.


Im Mythos Kindheit wird dies nicht einmal am Rand thematisiert, bzw. der eigene Haß wird auf böse Menschen, die von Außen die Kindheit bedrohen, projiziert.

Ein Theaterstück über Kindheit müßte den Haß einer überalternden Gesellschaft auf Kinder und Jugendliche, der, unter dem Deckmantel der Vernunft, Gewalt schürt und Kindheit als totalitäres Überwachungslager zu organisieren trachtet, im Theaterstück aufdecken.
Kindheit in Film und Theaterstücken, wie Kindheit zur Zeit dargestellt wird, verdeckt diese Realität.


Anna Irrliche, 2008