Carlotta


2084

Folge 3 - F4


Was bisher geschah: Karin Jorzig entscheidet sich alles aufzugeben und in die aufgegebenen Gebiete der Stadt zu ziehen. Daraufhin läßt sie ihr Vater, der berühmte Professor Jorzig, in die Psychiatrie einweisen. Dort lernt sie Nina kennen und lieben. Da beide sich nicht anpassen, werden sie nach F4 deportiert. Niemand weiß was F4 ist.


Als Karin aufwachte stand Nina neben ihrem Bett und noch eine andere Frau. Der Raum war ein anderer, ebenerdig mit offenen Fenstern.
'Wo sind wir?'
'Auf einer Insel.'
'Was wollen SIE von uns?'
'Gar nichts - wir sind hoffnungslose Fälle, - Überzüchtung.'
'Wovon ..?
'Sie werfen Lebensmittel ab. Ab und an kommt ein Roboterwartungsschiff.'
'Aber wieso?'
'Du weißt doch; "Dies ist die humanste Gesellschaft, die es jeh auf der Erde gab." Und wir sind doch krank.'
'Kommt nie jemand?'
'Sie haben Angst vor Ansteckung.'
'Das ist also F4.'
'Du hattest etwas anderes erwartet - nicht?'
Das letzte hatte die andere Frau gesagt.


2000
Er:'Jetzt reg Dich doch nicht so auf.'
Sie: 'Du könntest Dich auch mal um das Kind kümmern.'
Er: 'Meine Eltern nehmen die Kleine sicher gerne mal.'


Aus der Werbung II
Manche meinen, wir sollten essen was auf den Tisch kommt. Wir nicht! Ernähren Sie sich verantwortungsbewußt. Meßen Sie Rohkost vor dem Essen mit dem neuen Fluoreszensspektrometer von Ökotrop. Essen Sie keine graue Kost.


Die Insel war nicht sehr groß. Aber es gab einen schönen Strand und auch einsame Wege. Nur 47 Frauen, das waren alle, die hier lebten, - 47 für den Rest des Lebens.
'Keine Männer?'
'Glaubst Du die wollen, daß sich sowas wie wir noch vermehrt?'
Anja war schon lange hier. Sie töpferte nützliche und unütze Dinge - überall auf der Insel waren ihre Werke verstreut.
'Find Dich ein. Mach was, was Dich ausfüllt.'
'Du und Nina, Ihr könnt nicht nur schlafen und vögeln, das wird auf die Dauer langweilig.'
'Natürlich sind welche neidisch auf Euch.'
Andere hatten sich auf den Hüttenbau spezialisiert.
'Was haben die Kreuze am Strand zu bedeuten?'
'Das ... .'
'Sie haben es nicht mehr ausgehalten.'
'Es waren viel mehr aber sie werden immer wieder weggespült.'
'Wer?'
'Die Kreuze.'
'Was ist mit Boten.'
'Die zerstören SIE.'


2020
Er: 'Jetzt reg Dich doch nicht so auf.'
Sie: 'Ach und wer kümmert sich sonst um das Kind.'
Er: 'Wir bezahlen ja schließlich für den Ganztagshort.'


Rohkost. Er konnte das nicht essen, überall quoll noch der rohe Saft hervor. An einigen sStellen war das Gemüse verfärbt. Eine Stelle war sogar matschig. Er wußte, daß er sich würde übergeben müssen. Zuhause erholte er sich bei einer Portion Einweißextrakt mit Balasstoffen und einem isotonischen Getränk.


Die Frau fiel aus der Gruppe heraus. Sie hatte auch ihren Namen noch nie gehört. Die anderen mieden sie. Auch Nina wußte nicht warum. Als sie wieder einmal an der Hütte der Frau vorbeikamen, sprach sie sie an.
'Na neu. Wollt Ihr nicht Gedichte rezitieren, daß fehlt noch auf der Insel.'
'Was soll frau sonst tun? - Außer verrückt werden.lang=EN-GB style='font-family:Arial'>'
'Wie wäre es mit Widerstand.'
'Widerstand ist gut, aber wie?'
'Du mußt die Diskurse der Macht gegen sich selbst kehren.'
'Ich glaube nicht daß Du sie mit Reden schlagen kannst.'
'Das habe ich auch nicht gesagt.'
'Was meinst Du sonst? Was hast Du vor?'
'Ich weiß nicht ob ich Euch trauen kann. Kommt morgen noch mal vorbei wenn Ihr SIE noch haßt. Ich bin übrigens Lira.'


2060
Er: 'Jetzt reg Dich doch nicht so auf.'
Sie: 'Du kannst das Kind nicht nur vom Computer erziehen lassen.'
Er: 'Das Programm ist vollständig optimiert - und weiß viel mehr als Du.'


Die ganze Zeit als sie miteinander sprachen irritierte sie das Aussehen ihrer Gesprächpartnerin. Wie konnte eine gebildete Frau es zulassen, daß ihr Haare in den Achselhöhlen wuchsen, und dann noch in solchen Mengen. Es gab doch Mittel und Wege. Ihre Eltern hatten zum Glück im Kindesalter durch einen kleinen Eingriff vorgesorgt. Sie konnte gar nicht richtig zuhören.


Am nächsten Tag gingen Nina und Karin wieder bei Lira vorbei.
Sie lächelte sie an.
'Kommt mit!'
Im inneren ihrer Hütte war ein Keller, von außen nicht sichtbar.
Und dann - Karin sog die Luft ein. Es war das letzte, was sie erwartet hatte.
Ein Genlabor.
'Du mußt den Feind mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Es geht darum die herrschenden Diskurse aufzunehmen und sie gegen sich selbst zu wenden.'
'Wie soll das funktionieren?'
'Auf dieser Insel waren und sind lauter Frauen, die nicht eingliederungsfähig waren - renitent, unbehandelbar. Ich habe die entsprechende Gensequenz extrahiert. Ansonsten bedurfte es nur noch ein wenig somatischer Gentheraphie, verknüpft mit einem sich schnell ausbreitenden Retrovirus.'
'Glaubst Du daran?'
'Darum geht es nicht. SIE glauben daran, daß ist das einzige, was zählt. SIE werden daran erkranken. Aber ich brauche jetzt Hilfe.'


2080
Er: 'Jetzt reg Dich doch nicht so auf.'
Sie: 'Du könntest wenigstens die Implantate der Kleinen warten.'
Er: 'Ach als Mann soll ich mich wieder um die Technik kümmern - ich würd auch viel lieber mit der Kleinen spielen.'


Theaterstück - 2030
Die Scenerie:
Eine nicht sehr belebte Straße am Rande der Einkaufszone der Stadt.
MitspielerInnen:
Zwei uniformierte Sicherheitsleute,
ein älteres Ehepaar,
ein verwahrlost aussehender Mann mittleren Alters.
(Der Mann steht in einer Hausecke bei einigen Mülltonen auf der Straße. Die Sicherheitsleute nähern sich ihm unbemerkt, reißen ihm aufeinmal die Beine weg und legen ihm Handschellen an. Das ältere Ehepaar kommt hinzu.)
Die Ehefrau zu den Sicherheitsleuten: 'Was soll denn das?'
1. Sicherheitsmann: 'Der Mann ist hier illegal, er hat keine Innenstadttaxe bezahlt. Wir schaffen ihn raus.'
Der Ehemann: 'Was Sie da machen ist Diskriminierung.'
1. Sicherheitsmann: 'Alle die bezahlen dürfen sich hier auch aufhalten. Wir behandeln alle gleich.'
2. Sicherheitsmann: 'Darf ich mal ihre Ausweise sehen.'
Die Frau kramt einen Ausweis hervor.
2. Sicherheitsmann: 'Ah eine ermäßigte Seniorenkate. Sie wissen daß Sie Samstags nach 20.oo Uhr hier nicht mehr sein dürfen.'
Der Ehemann: 'Das ist ja noch 2 Stunden hin.'
1.Sicherheitsmann: 'Der Mann kann froh sein, wenn wir keine Anzeige aufnehmen.'
Die Ehefrau: 'Aber der Mann hat doch gar kein Geld. Da nehem Sie ihm doch jede Freiheit.'
2. Sicherheitsmann: 'Dann muß er halt arbeiten. Entschuldigen sie, aber wenn Sie morgens zu faul sind aus dem Bett aufzustehen, bezichtigen sie doch auch niemanden der Freiheitsberaubung.'


Als Karin aufwachte mußte sie lächeln. Ein Anarchavirus, sie konnte es immer noch nicht fassen. Und heute würden sie versuchen es zu verbreiten. Sie wußte nicht was passieren würde. Aber ansich war das egal. Sie würde zusammen sein mit Nina - was war sonst schon wichtig.
Nina hatte vorgeschlagen das Virus Anarcha IV zu nennen, da Lira erzählt hatte, daß ihre ersten 3 Versuche zur Synthetisierung des Virus gescheitert waren.
Heute kam das Roboterwartungsschiff.


Lesen Sie auch die letzte Folge: Haben Karin, Nina und Lira eine Chance? Wird der Virus tatsächlich wirken? Werden die Drei überleben?


2084 Teil 4


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'Kameraüberwachung' - Topologie eines Begriffs des beginnenden 21ten Jahrhunderts











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Impressum: Paula & Karla Irrliche







Zuletzt aktualisiert 30.10.14



Kameraüberwachung. 2084 - Ein feministischer Science Fiction von Carlotta - über; Panoptikum Manipulation Medien Subjekt Widerstand


































'Kameraüberwachung' - Topologie eines Begriffs des beginnenden 21ten Jahrhunderts


- Vorüberlegungen zur Semesterarbeit zur Kameraüberwachung -

Seminar zur Geschichte von Optimierungsverfahren der Sozialtechnologien - 14.10.2237

Aus unserer Sicht, der Sicht des 23ten Jahrhunderts, ist es schwer, sich in das Denken der Menschen der Zeit vor 200 Jahren hineinzuversetzen.

Was verstanden diese Menschen damals unter 'Kameraüberwachung'?

Der Begriff 'Kameraüberwachung' macht aus heutiger Sicht gar keinen Sinn. Wie sollten wir uns ohne die überall vorhandenen Kameras zu Recht finden, die damals mit dem Begriff 'Kameraüberwachung' bezeichnet wurden.

Historisch ist ein Bruchpunkt zu sehen in der allgemeinen Einführung der Cyberbrillen. Seit dem alle Bilder, der zu Beginn des 21ten Jahrhunderts als 'Kameraüberwachung' bezeichneten Umgebungskameras, mit Hilfe kleiner Sender auf die Cyberbrillen der Menschen übertragen werden, und diese Technologie zur Technologie modernen Sehens geworden ist, wird die früher sogenannte 'Kameraüberwachung' nicht mehr als übel betrachtet, sondern als unabdingbares Hilfsmittel des alltäglichen Lebens.

Um die Differenz deutlich herauszustellen verwende ich in diesem Text die Begrifflichkeit 'Kameraüberwachung' des beginnenden 21ten Jahrhunderts an Stelle des heute üblichen Begriffs 'unsere Augen'.

Dadurch, daß die Menschen ihre defizitären 'natürlichen' optischen Organe mit Hilfe der Cyberbrillen und der 'Kameraüberwachung' optimiert haben, ist das Leben an vielen Stellen leichter geworden.
Schon Säuglinge erhalten direkt nach der Geburt heute ihre erste Cyberbrille, damit sie sich gar nicht erst das Falsche angewöhnen. Einmal erlentes Sehen mit biologischen Augen ist ein großes Hindernis für eine spätere Adaption von Cyberbrillen.
So lernen heute schon Kleinkinder sich mit Hilfe des Kamerablickes der 'Kameraüberwachung' in ihrer Umgebung zu Recht zu finden. Für die Kleinkinder hat dies den großen Vorteil, daß sie, falls sie sich Nachts ängstigen, ohne Schwierigkeiten im Infrarotmodus das Kinderzimmer, mit Hilfe der dort installierten 'Kameraüberwachung' überblicken können.
Dank 'Kameraüberwachung' können auch die Eltern jederzeit mit ihrer Cyberbrille einen Blick ins Kinderzimmer werfen.

Klingelt es an der Haustür kann über die Cyberbrille die Haustürkamera der 'Kameraüberwachung' angesteuert werden.

Aber auch bei allen alltäglichen Verrichtungen zeigt sich immer wieder der Vorteil der Cyberbrille vor den defizitären 'natürlichen' optischen Organen. Dank Cyberbrille und 'Kameraüberwachung' kann jetzt bei der Arbeit in der Küche der ganze Raum im Blick behalten werden, aber es stehen auch 1000fache Vergrößerungen, Infrarot, Ultraviolett und computerunterstützte Suchroutinen zur Verfügung. Verlegte Haushaltsgegenstände sind so einfach zu finden.

Eine Person, die sich mit Hilfe des Kamerablickes durch den Raum bewegt, bewegt sich nachweislich wesentlich sicherer durch den Raum.

Heute legt die Durchschnittsbevölkerung die Cyberbrille auch zum Schlafen oder Duschen nicht ab. überall sind vielfältige Kameras installiert, die mit 'Kameraüberwachung' allen Menschen ermöglichen sich mit Hilfe ihrer Cyberbrillen optimal zu Recht zu finden.
Die Vielfalt der Blickwinkel und die technisch ausgefeilten Möglichkeiten, die die überall vorhandene 'Kameraüberwachung' ermöglicht, sind für die Menschen unverzichtbar geworden. Nur einige SektiererInnen und psychisch labile Menschen betrachten die Welt noch durch ihre biologisch Augen und verweigern sich der 'Kameraüberwachung'.

Die Installation von Kameras im Innen- wie Außenraum wurde bereits 2142 zur allgemeinen Pflicht erklärt, damit Menschen sich an jedem Ort der EU mit Cyberbrille zu Recht finden können. Bereits im Jahr 2155 wurde das Netz der 'Kameraüberwachung' auch in den polnischen Kaparten vervollständigt und damit die letzte Lücke im Netz der 'Kameraüberwachung' geschlossen.

Heute würde kein Mensch mehr den Begriff 'Kameraüberwachung' verwenden, üblich ist der Term 'unsere Augen'.

Die TechikerInnen, die unsere Augen warten, müssen entsprechend der europäischen Qualifikationsrichtlinie 19/560Bt-04 arbeiten um sicherzustellen, daß unsere Augen, also die 'Kameraüberwachung', immer störungsfrei funktionieren. Katastrophen wie die Gettounruhen in Berlin im Jahr 2178, die durch den Ausfall großer Teile der 'Kameraüberwachung' ausgelöst wurden, sind deshalb inzwischen unmöglich. Jeder Ort ist mehrfach abgesichert mit unabhängigen Kameras, so das die 'Kameraüberwachung' auch beim Ausfall einzelner Netzteile nie unterbrochen wird.

Dank Nanotechnologie tragen viele Menschen auch eine größere Anzahl zusätzlicher Augen am Körper, im Fahrzeug u.a. mit sich herum, diese Teile der Kameraüberwachung wurden mit dem dritten Anhang zum Gesetz über optische Hilfsmittel verpflichtend der Allgemeinheit zugänglich gemacht. So stehen heute in der Regel an jedem Ort eine hohe Zahl an unterschiedlichen Kamerablickwinkeln für die Cyberbrille zur Verfügung, der Vorteil dieses Blickes durch die Augen der 'Kameraüberwachung' gegenüber dem eingeschränkten System der biologischen Optik ist unbestreitbar.

Im Jahr 2182 wurde die Nutzung der Cyberbrille für alle Verkehrsteilnehmer im öffentlichen Raum, zur Pflicht, damit wurde der Blick durch die Kameras der 'Kameraüberwachung' auch für Fußgänger verpflichtend. Uneinsichtigen wurden nicht entfernbare Cyberbrillen implantiert, um sie so an den Blick durch die Kameras der 'Kameraüberwachung' zu gewöhnen.
Inzwischen ist dies nicht mehr notwendig, im Einzelfall, irrationaler Verweigerung der Nutzung von Cyberbrillen und des Blickes durch die Kameras der 'Kameraüberwachung', wird zuerst die optische Führungsaufsicht und im Widerholungsfall eine psychiatrische Behandlung angeordnet.

Besonders beliebt ist die Nutzung spezieller 'Überwachungskameras' im Schlafzimmer, die im Zusammenhang mit der Nutzung der Cyberbrille ganz neue erotische Momente möglich machen, zur Zeit werden Peniskameras nachgefragt, nachdem Kameras mit optischen Vergrößerungseffekten schon lange zum üblichen gehören.
Gerade die 'Kameraüberwachung' im Schlafzimmer, die in früheren Jahrhunderten hoch umstritten war, ist inzwischen ein treibendes Moment für die weitere technologische Entwicklung der 'Kameraüberwachung'.


Silja Irrliche, 2237